Bis ans Ende der Welt (German Edition)
guter Freund und der Beweis seiner Entschlossenheit, das ersehnte Ziel zu erreichen. Für einen kleinen, unbedeute n den Ausflug ins Grüne würde man sich doch keinen Esel zulegen. Man kann ihn unterwegs mieten, wenn man das nötige Kleingeld hat. Der Preis liegt irgendwo bei einem billigen Leihwagen. Etliche Angebote hingen an Bäumen, Zäunen und in den Herbergen aus. Das Pilgergeschäft hatte Facetten, die es noch zu ergrü n den gab.
Am Nachmittag holte ich Bill und Robin ein, was eigentlich nicht sein dürfte, weil sie hinter mir waren und mich unterwegs nicht überholten. Aber es gab noch eine Alternativroute durch das Tal. Laut Führerauskunft war sie weniger spektakulär, jedoch kürzer und bequemer. Mich zogen immer die schwierigeren Wege an, wenn sie Anmut und Schönheit ahnen ließen. Hier wie im Leben. Bill, ein Pilgerprofi, wußte alles über die klugen Esel und ihre Sitten: „Follow the shit.“ Dabei schritt er rasch und beständig aus. Vermutlich sind Briten die besten Fußläufer der Welt, sie bringen darin verblüffende Leistungen zustande. Im zweiten Weltkrieg marschierte eine britische Militäreinheit ohne jeglichen Nachschub Tausende Kilometer durch Burma, um den Japanern in den Rücken zu fallen. Im Falkland-Krieg taten sie nach einem forcierten Dreitagesmarsch dasselbe den Argentiniern an. In den Bergen von Wales, Schottland, und wo immer ich mit den Engländern zu Fuß unterwegs war, konnte ich mir eigenes Bild von ihrer Zähigkeit machen und lernte dabei so einiges. Ich mußte an Te m po zulegen, um mitzukommen. Aber das konnte mir nur recht sein, denn das Gewitter holte uns langsam ein. Es ging alle möglichen Pfade rauf und runter, rechts und links, bis endlich die Herberge auf einem steilen Hügel in Sicht kam. Der Himmel verdüsterte sich bis zur Dunkelheit, ein leichter Regen setzte ein, und wir nahmen den senkrechten Hügel im Sturm. Wer weiß, ob ich auch allein noch die Kraft hätte.
So ein französischer Gîte ist aus meiner Sicht eine pfiffige Einrichtung. Es gibt sie privat und kommunal. Bisher lernte ich nur die privaten kennen, und es war jedesmal ein Erlebnis, weil man neben der eigentlichen Übernachtung auch den Tisch und die Eigenart der Besitzer kennenlernte. Hier war Louis Revel der Herr und Meister. Der Führer nannte ihn „eine interessante Persönlichkeit“, was hö f lich untertrieben war. Seine Herberge hatte etwas von einem Ferienlager im Umbau. Nicht alles funktionierte immer wie erwartet. Offene elektrische Le i tungen und so, alles chaotisch. Hoch am Berg gelegen, übersah sie das Tal d u zende Kilometer weit bis zum Horizont. Dort wälzte sich nun das schwarze G e witter hin und her, schleuderte Wasser und Blitze um sich herum und war ein überaus spannender Anblick, während wir gelassen ein Begrüßungslimo schlür f ten. Eine gute Sitte, denn Pilger sind immer durstig. Luis hielt dazu einen läng e ren Vortrag, dessen Inhalt ich schon vergaß, außer daß er zum eigentlichen L e bensunterhalt mit seinem Minibus Kinder zur Schule fährt. Die Herberge sei so etwas wie ein Lebenstraum, den er kontinuierlich durch Ausbau erweitert. Er war etwas mürrisch, weil er Schmerzen hatte. In einer Woche sollte er neue Hü f te bekommen. Wir mußten versprechen, an diesem Tag für ihn zu beten. Sogleich schleppte er uns über viele Stiegen und Gänge in seine selbstgezi m merte Hauskapelle, wo er einen ziemlichen Hokuspokus veranstaltete, bis den reformierten Engländern Augen und Ohren übergingen. Bill, der bereits bis nach Compostela wanderte und neben anderen politischen Posten auch noch den eines Kirchengemeinderats inne hatte, trug die Sache einigermaßen mit Fassung. Doch sein Sohn Robin stand solcherart ideologischer Keule konsterniert gege n über. Als Personalmanager eines Konzerns hatte er für katholische Glaubens- und Liturgiefragen wohl kaum viel Zeit übrig, da zählen sowieso andere Werte. Bill und ich sahen gespannt zu, ob er nicht etwa Reißaus nimmt, aber er hielt mit etwas gestreßten Ausdruck durch. Immerhin verlangte uns Louis keine Kaste i ung ab, sondern mehr oder weniger nur die aktive Teilnahme an Gebet und G e sang. Daß Robin am nächsten Tag dann eiligst abreiste, um seinem Konzern personalmäßig auf die Sprünge zu helfen, mag ein Zufall gewesen sein. Aber die Lage war zumindest eine Weile ziemlich angespannt. Das gute Dinner half b e stimmt, und Louis war so weit ein Menschenkenner, um einzusehen, daß es noch mehr zu tun gab, so brachte
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