Bis ans Ende der Welt (German Edition)
er in kurzen Abständen etliche Weinflaschen lokaler Herkunft auf den Tisch und tat dies so lange, bis das angeschlagene ka l vinistische Gemüt vor dem französischen Savoir vivre kapitulierte.
Le Verou, km 1065
Die ganze Nacht tobte das Unwetter, was mich freilich nicht vom Schlaf abbri n gen konnte. Doch der Blick aus dem großen Speisesaalfenster beim Frühstück versprach nichts Gutes. Bis zum Horizont ballten sich schwarze Wolken z u sammen, ein starker Sturm rüttelte an dem exponiert gelegenen Haus und ve r suchte die Scheiben einzudrücken. Louis drängte zum Abschied, da er eine se i ner Schülerfahrten zu absolvieren hatte, obwohl es eigentlich seit drei Tagen überall in Frankreich Ferien gab. Die Engländer, absolut rostfrei und wetterfest, starteten schon um acht Uhr bei strömendem Regen, ich wartete noch eine Stu n de länger auf eine Regenpause. Durch nasse Wiesen und auf schlammigen Pf a den ins Tal unterwegs, verbreitete ich im Geiste Optimismus. Wirf deine Sorge auf den Herrn, er hält dich aufrecht! Er läßt den Gerechten niemals wanken. [26] Von wegen! An einer Hagebuttenhecke blies mich der Sturm fast von den Be i nen, der Regen wurde immer heftiger und trommelte jetzt laut auf meinen Sch ä del ein. Wie auf ein rostiges Blechdach. Der Regenponcho hielt der Belastung nicht mehr stand, außerdem war er für den fast wagerechten Regen viel zu kurz. In der Folge sogen sich die Hosenbeine voll und transportierten rasch die Feuc h tigkeit immer höher, bis nicht nur die leichte Wanderhose, sondern auch die U n terhose patschnaß wurde und an den empfindlichsten Stellen schmerzhaft zu scheuern begann. Es überraschte mich nicht sehr, daß auch die angeblich wa s serdichten Bergschuhe auch naß wurden. Es war ein Fiasko.
In St-Genix nahm ich Abschied von Savoyen und von der Rhône. Aus Trotz und Verzweiflung über das miserable Wetter aß ich den im Führer hoch gepriesenen Gâteau Labully und trank dazu eine Tüte Milch. Der Mandelzuckerkuchen machte mich wieder etwas munter, in der Bäckerei war es angenehm warm, und es roch geradezu köstlich. Aber wie lange darf man sich in einer Bäckerei stra f frei aufhalten? Schon bald setzte ich den Marsch in der Gesellschaft von Bill fort, der sich hier von Robin verabschiedete. Man kann sich in solchen Ortscha f ten nicht aus dem Wege gehen, auch wenn man es wollte. Wir folgten nun dem Flüßchen Guiers nach Südwesten, während die Rhône eine Kehrtwendung in der entgegengesetzten Richtung machte. Bei schönem Wetter bliebe mir bestimmt eine ersprießlichere Erinnerung an die steinerne Brücke und die Wehr zurück, jetzt aber war ich auf der Flucht. Es war ein frommer Wunsch, dem Regen zu entkommen, doch vergeblich. Nicht einmal eine Pause gab es. Soweit das Auge reichte, überall leere, offene Landschaft, die dem Wind keinen Widerstand bot und den Regenschleier gierig aufsog. Bäume gab es kaum. Sie waren ohnehin schon völlig durchgeregnet und boten keinen Schutz. Das Wasser sammelte sich in den Kronen und kam in Sturzbächen hernieder. Außerdem schlugen überall Blitze ein, und ein einsamer Baum war gewiß kein sicheres Versteck. Bill fre i lich marschierte, als ob nichts wäre. Echt britisch. Seine einzige Klage galt der Regenhose. Die sei nach ein paar Jahren Gebrauch doch nicht mehr so dicht wie früher. Ich bezweifle aber, daß seine Unterhose so naß war wie die meinige, womöglich wollte er mir nur Trost spenden.
Geschenkt! Ich hatte die Nase endgültig voll, verlor jede Geduld und schimpfte wie ein Spatz über die widrige Nässe. Als ich mit zwei Jahren das Skifahren lernte, trotzte ich, weil die Ski nicht bergauf fahren wollten. Skilifte gab es d a mals bei uns noch nicht. Ich stampfte auf, war nicht zu trösten. Offenbar habe ich mich seit damals nicht viel weiterentwickelt. Meine Gefühle waren ja sehr ähnlich. So unterlag ich der Versuchung, als ein Schild an einem Zaunpfahl Übernachtung auf einem Bauernhof anpries. Er lag abseits der Route, und ich hätte das Tagesziel nicht geschafft. Außerdem würde ich mir vor Bill eine Blöße geben. Aber es war mir alles gleich, wenn ich nur endlich ins Trockene käme. Ich pfiff also auf Prinzipien und ging hin. Dort aber lag das Haus so unsäglich einsam, naß und kalt, daß ich es vorzog weiterzugehen. Im Dorf selbst traf ich keinen einzigen Menschen. Und warum auch, bei diesem Wetter? Die Antwort lag in der Luft. Es roch nach Holzfeuer. Man saß wohl am Kamin und ließ es sich bei einem Glas
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