Bis ans Ende der Welt (German Edition)
jeder bekam Fürbitten sowie einen Bibelspruch mit auf den Weg. Meiner war aus mir unb e kanntem Grund englisch. But the Lord God helps me; therefore I have not been disgraced; therefore I have set my face like a flint, and I know that I shall not be put to shame. [31] Ich hätte lieber einen deutschen oder französischen Spruch. A u ßerdem sagte er mir nichts, sprach mich einfach nicht an. Warum sollte ich mein Gesicht zum Kiesel machen, wenn der Herr bei mir war? Im Gegenteil, strahlen sollte es wie das von Moses, als er nach vierzig Tagen vom Berg Sinai zurüc k kehrte, um dem Volk das Gesetz Gottes neu zu verkünden. Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns? [32] So spekulierte ich und wollte den Spruch tauschen, dann aber verwarf ich die Idee und ließ es gelten. Vielleicht werde er sich mir noch öffnen, dachte ich, steckte den Papierstreifen ein und vergaß ihn wieder.
Und Stephanie stellte mir gerade Elisabeth und Joanna vor, beide sehr jung und sehr hübsch, was mich freilich sehr leicht vom Propheten Jesaja abbrachte. Es waren nämlich die anmutigsten Jungfern, die mir auf dem Camino begegneten. Elisabeth, zwanzig Jahre, streng katholisch, stammte aus Versailles, wo sie das Lyzeum besuchte. Joanna war sogar erst achtzehn und war nicht mal getauft. I h re Eltern seien Methodisten, erzählte sie, da werde man erst volljährig getauft. Sie wolle sich aber nach der Pilgerreise taufen lassen, es sei an der Zeit, dann aber doch lieber katholisch. Ihre Pilgerschaft, so schien es mir, war auch eine Art Aufstand gegen die elterliche Autorität. Sie war das zwölfte von dreizehn Kindern und fühlte sich auch in der Elternliebe an zwölfter Stelle. Es war alles neu und spannend für mich, auch dank der aufregenden Umgebung, und ich spürte, daß hier ein neuer Abschnitt meiner Pilgerreise oder gar meines Lebens begann. Bisher agierte ich sozusagen im Verborgenen, wie ein Brigant, der bei Nacht und Nebel auf verlassenen Pfaden durchs Land streicht, nun hing ich plötzlich in einem gruppendynamischen Netz. Dabei war der Umgang mit Mi t menschen nie meine Stärke. Das gestrige Abendessen war mir schon eine Wa r nung. Für den Anfang, so scherzte ich, war zu hoffen, daß der flotte Umgang mit dem anderen Geschlecht meinem Ruf als Pilger nicht zum Nachteil gereichen wird. Die anwesenden Deutschen schauten schon öfter herüber. Irgendwie streng und verdrießlich, wie es mir schien. So ein alter Kerl, und macht sich gleich an die Mädels ran. Aber die französischen Patres lächelten und nickten gefällig, offenbar sahen sie nichts grundsätzlich falsches darin, wenn man sich für hübsche Mädchen interessierte. Und auch in den nächsten Wochen, die wir nun zusammen verbringen sollten, versuchte niemand - kein Pfarrer, kein Mönch, kein Herbergswirt - uns zu trennen, nicht am Tag, nicht bei den Mah l zeiten und nicht für die Nacht, auch dann nicht, wenn es räumlich und organis a torisch problemlos möglich oder gar angebracht wäre, so daß wir von nun an nahezu vierundzwanzig Stunden am Tag beisammen waren.
Le Puy hat eine große Pilgertradition. Im Mittelalter war es die zweitgrößte Pi l gerstätte nach Chartres . Verehrt wurde die Statue der Schwarze Madonna, die einst vom Ludwig dem Heiligen von einem Kreuzzug aus Ägypten gebracht und in der Französischen Revolution verbrannt wurde. Wichtiger aber scheint mir, daß von hier aus der Jakobsweg zu ersten Mal begangen wurde. Hier nahm die Tradition ihren Lauf, als sich im Jahre 950 der besagte Bischof Godesalc mit e i nem Haufen frommer Mächtigen auf den Weg nach Santiago machte. Bestimmt trug er ke i nen Rucksack und Blasen an den Sohlen. Ebenso wie im Jahre 1064 der Bischof Petrus II., und - wenn ich mich nicht irre - auch der Papst Urban II., nachdem er 1095 auf der Synode von Clermont zum ersten Kreuzzug ins Heilige Land au f gerufen hatte. Diesen Sündenfall, der für ganz Europa und Kleinasien noch dr a matische Folgen haben sollte und ganze Generationen mit Leid und Elend überzog, konnte er damit bestimmt nicht gutmachen. Den frommen H ö hepunkt e r reichte man um die Mitte des 12. Jahrhunderts, als die fanatisierten und traumatisierten Massen Hof und Familie im Stich ließen, um vor dem anst e henden Weltuntergang noch ihre Seele zu retten. Genaugenommen, keine schlechte Idee. Zumindest haben sie sich, wie ich heute, für eine Weile dem Zugriff der Reichen, Schönen und Mächtigen entzogen. Menschen, denen man nichts schuldig ist, weil alles, was sie
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