Bis ans Ende der Welt
Große, grau-weiße Barsche mit gelben Flossen versteckten sich unter einem Vorsprung, sobald Ralf und Miriam näher kamen.
Auf einmal hörte Ralf ein hohes Pfeifen und steckte den Kopf aus dem Wasser, um nachzusehen, woher es kam. Nichts zu sehen - außer dem Boot, das weit weg war. Sogar ziemlich weit - Ralf begann, sich zu fragen, ob die Geschichte von den Haien, die hier angeblich so selten und scheu sind, nicht vielleicht Touristenberuhigungsmasche war. Alle diese bunten, großen, saftigen Fische - wieso sollten Haie auf die nicht scharf sein? Und wenn dabei ein Schnorchel-Anfänger vorbeikäme, wäre der nicht eine noch bessere Beute? Vor allem wenn er eine Verletzung hatte wie die dicke Lippe oder aufgekratzte Mückenstiche. Haie können auf Kilometer die geringste Menge Blut im Wasser riechen, hatte Julian erzählt.
Das Pfeifen wurde lauter, Ralf kümmerte sich nicht darum. Er hatte eine kapitale Mördermuschel entdeckt und schwamm drauf zu. Plötzlich hörte er vor sich ein Plätschern und Rauschen und sah etwas verschwinden, was Großes, Dunkles, eine Art schwarzen Delfin. Es waren nur noch Schwanzflosse und Rücken zu erkennen - leider ging alles zu schnell, um Miriams These vom Arsch auf dem Bauch zu überprüfen. Ralf drehte sich zu ihr um. Sie schwamm langsam heran und nahm den Schnorchel aus dem Mund.
»Gott, hab ich einen Schreck gekriegt. Der war mindestens drei Meter!«
»Was war das?« Drei Meter?
»Irgendein Delfin oder Wal. Du hast echt Mut, ich sag nie wieder Mädchen zu dir.«
Auf dem Boot winkten die Leute hektisch. Ralf sah sich um. Wenn es ein Delfin war, würde er ja noch mal auftauchen. Tatsächlich sah er fünfzig Meter weiter eine schwarze Rückenflosse aus dem Wasser steigen, mit ein bisschen Abstand eine zweite.
»Komm, wir schwimmen zurück.«
An Deck berichtete Miriam von Ralfs heldenhaftem Verhalten.
»Ich dachte, mir bleibt das Herz stehen, aber Ralfi ist einfach auf ihn zu!«
»Und dann?«
»Nichts. Der Wal ist weitergeschwommen.«
»Seht mal!«
Der Kapitän zeigte ein paar hundert Meter hinaus aufs Meer, wo fünf oder sechs pechschwarze Tiere mit hoher Geschwindigkeit vorbeizogen. In Abständen schossen sie aus dem Wasser, ein Exemplar legte sich dabei auf die Seite und zeigte seinen Bauch. Es schien ihnen Spaß zu machen.
»Falsche Schwertwale«, mutmaßte der Kapitän. »Ich habe noch nie welche gesehen, aber so müssten sie eigentlich aussehen. Sind ziemlich selten.«
Bald darauf kamen die Taucher an Bord, sie hatten von den Walen nichts mitbekommen. Immerhin hatte der Tauchlehrer Julian eine Muräne gezeigt.
»Und, wer hat das mit dem Kiefermuskel übernommen?«, fragte Miriam.
»Sie wollte nicht raus aus ihrer Höhle«, beschwerte sich Julian und lachte.
»Vielleicht hatte sie Migräne.«
Ralf kicherte. »Muränenmigräne.« Er verfasste einen Limerick und trug ihn vor:
Muräne mit Migräne
Am Riff die alte Muräne
hatte kaum noch zwei Zähne,
seit dem Wechsel von Fisch
auf vegetarischen Tisch
plagt sie Muränenmigräne
Miriam fand das Gedicht toll - Ralf gab das Kompliment zurück: War ja ihre Idee.
»Trotzdem«, sagte sie und küsste ihn überraschend auf den Mund. Nur kurz, aber die Berührung der Lippen genügte, um Ralf das Gewicht des ganzen Riffs auf die Brust zu legen. Hatte sie nicht das gleiche Gefühl?
Auf der Rückfahrt vom Riff fühlte sich Kristine großartig: Helge war abgehängt und sie endlich tauchen gewesen. Alfred junior hatte sie wie einen Ehrengast behandelt. Um die Funktion der Ausrüstung zu demonstrieren, wählte er jedes Mal sie, seine Berührungen waren kraftvoll, sicher und sanft. Einmal waren sie allein tauchen gegangen, er im kurzen Taucheranzug, den Reißverschluss fast bis zum Bauchnabel offen …
»Wie lange bleibst du in Townsville?«, wollte er nun wissen.
»Morgen fahre ich ab.«
»Schon?«
»Nicht zu ändern.«
»Triffst du dich mit einem Freund?«
»Ja.«
»Er hat Glück, dich zu kennen.«
»Findest du?«
Er lachte. »Wieso nicht?«
»Weil... ich weiß nicht.« Sie sah ihn an.
Alfred fing den Blick auf. »Was machst du hinterher, wollen wir noch was unternehmen?«
»Okay, klar. Was?« Na, was wohl! Kristine verfluchte sich für diese blöde Frage. Was sollte sie jetzt tun - hätte er denn ein Gummi dabei? Wenn sie ihre nehmen müssten, sähe alles ziemlich beabsichtigt aus.
»Uns fällt schon was ein.«
Das »was« entpuppte sich als Spritztour in dem kleinen Honda , mit dem Alfred junior
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