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Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Riehl
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hörte nicht hin. Er hatte die Hand auf der Türklinke zum Jenseits und war noch nicht bereit loszulassen.

    »Ein Wahnsinnsgefühl, einfach Wahnsinn. Ich habe mich grenzenlos frei gefühlt, völlig losgelöst von allen Zwängen dieser Welt, ich war unsterblich!«
    Kristine beschrieb auf der Rückfahrt ihr Bungee-Erlebnis in schillernden Farben, Ralf sagte nichts. Er hatte sich ziemlich sterblich gefühlt und nicht grenzenlos frei, eher grenzenlos beschissen. Er wusste kaum noch, was nach dem Absprung passiert war, nur langsam begann sich sein Kopf zu füllen, vor allem mit Kristines Begeisterungsstürmen:
    »Es war einfach unglaublich, zehnmal besser als Sex. Der Turbo-Orgasmus. Wie ich da oben stand, dachte ich mir, das ist doch Wahnsinn. Und dann bin ich einfach gesprungen.«
    Soweit sich Ralf erinnern konnte, war es das erste Mal, dass Kristine ihm auf die Nerven ging. Er versuchte, seinen Adrenalinspiegel auf Normalmaß zu kriegen, und sie quatschte und quatschte.
    »Du tauchst in einen Rausch, in eine Explosion des Glücks. Es ist einfach Wahnsinn, oder?«
    Ralf nickte.

    Ein paar Kilometer weiter bekam Kristine Hunger und hielt an einer kleinen Tankstelle. Hinter dem Ladentisch der winzigen, etwas düsteren Hütte stand eine ältere Frau mit einer wilden, offenbar selbst geschnittenen Frisur und einem ärmellosen grellgrünen Sommerkleid. Kristine sah sich um und entdeckte in Plastikfolie gewickelte Sandwiches.
    »Was ist da drauf?«
    »Was Sie wollen, Schinken und Käse oder Tunfisch und Majonäse. Die mit Tunfisch sind besser.«
    Zum Beweis machte sie eins auf und biss hinein. »Mit Majo«, wiederholte sie und kaute darauf herum, »alle selbst gemacht.«
    Nach dieser Empfehlung ließ sich Kristine eins geben. Die Alte zupfte ihr Sandwich eher mit den Lippen, als dass sie es biss: Ihr fehlten beide oberen Schneidezähne.
    »Und der junge Mann?«
    »Kein Hunger«, sagte Ralf und nahm sich einen Eiskakao.
    »Keinen Hunger?« Sie lachte - wieder war die klaffende Zahnlücke zu sehen. »In eurem Alter hat man immer Hunger. Habt ihr euch gestritten oder was?«
    »Nein«, antwortete Ralf, »wir waren Bungee-Springen.«
    »Das hat dir auf den Magen geschlagen, was? Ist euer Leben so langweilig, dass ihr so was braucht?«
    Ralf zuckte mit den Achseln. »Haben Sie nie was Dummes gemacht, als Sie jung waren?«
    Sie zögerte. »Doch, darauf kannst du wetten. Als ich siebzehn war, bin ich mit meinem Lehrer abgehauen.«
    Ralf staunte. »Und?«
    »Er hat nach’nem halben Jahr was mit’ner Fünfzehnjährigen angefangen, da war ich noch nicht mal achtzehn.«
    »Oh.«
    »Er war ein Arschloch.« Sie fingerte einen Rest Tunfisch aus den Zähnen. »Zwei Jahre später hab ich das erste Mal geheiratet und dann noch einmal. Mein zweiter Mann hat mich geschlagen, aber ich hab mir nichts gefallen lassen. Vor dreißig Jahren hab ich ihn rausgeschmissen. Zwei Dinge hat er mir hinterlassen: 34 Dollar Schulden im Pub und das hier.« Sie öffnete die Lippen und zeigte auf die doppelte Zahnlücke.
    Ralf machte ein betretenes Gesicht.
    »Na und? Ich bin besser ohne die Kerle dran. Lasst euch nicht abschrecken, heiratet nur. Lebt nach eurem eigenen Kopf, und glaubt nicht, was alte Frauen sagen.«
    Wieder lachte sie.
    »Machen wir.« Kristine nahm sich einen Eiscappuccino und bezahlte. Als sie im Auto saßen, fiel Ralf ein, dass er den Kakao nicht bezahlt hatte.
    »Lass doch«, sagte Kristine, »die spinnt, die Alte.«
    Ralf leuchtete nicht ein, was das mit dem Bezahlen zu tun hatte, außerdem fand er die Frau in Ordnung. Er stieg aus und ging zurück.
    »Was vergessen?«
    »Ich hab den Kakao nicht bezahlt.«
    »Siebzig.«
    Ralf legte das Geld hin. »Können Sie mir einen persönlichen Rat geben?«
    Sie nickte. »Aber du wirst nicht drauf hören.«
    »Warum nicht?«
    »Wenn ich eins gelernt habe in den letzten 67 Jahren, dann dass Menschen, die einen Rat suchen, gar keinen wollen. Sie hören nur dann zu, wenn es auf das hinausläuft, wofür sie sich im Stillen längst entschlossen haben. Hab ich nicht Recht?«
    Ralf machte ein zweifelndes Gesicht.
    »Glaubst du, ich hätte nur ein einziges Mal auf meine Eltern gehört? Ich hab’s nicht mal versucht, ich wusste doch, dass sie mir die Kerle ausreden würden. Hätte ich auf meine Eltern gehört, wär mir zwar einiges erspart geblieben, ich hätte allerdings nie was erlebt. Mit meiner Tochter Maggie ist es das Gleiche: Ich hatte sie gewarnt, aber sie hat sich diesen gut aussehenden Hanswurst

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