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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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Zusammenbruch noch nicht ganz erholt und in dem kühlen Wind Gliederschmerzen. Das Flugzeug sollte in zehn Minuten starten. So hatte sie kaum noch Zeit, nach einem Ort Ausschau zu halten, wo sie sich, vor fremden Blicken geschützt, umziehen konnte. Jedes Zelt war besetzt; in jeder Baracke lagen mindestens drei Verwundete. Sie rannte zum Fluss hinunter. Er lief an der Ostseite des Camps entlang, das Ufer war mit Gebüsch und hohen, krummen Bäumen bewachsen. Am sandigen Ufer sah sie sich um, um sicherzugehen, dass niemand in der Nähe war, dann zog sie rasch die Stiefel von den Füßen und riss sich die nach Schweiß und Schlamm stinkenden Sachen vom Leib.
    In dem Augenblick, als sie einen Arm in das frische Uniformhemd steckte, kam ein Mann hinter einem Felsen hervor. Er war gerade aus dem Fluss gestiegen, splitternackt und trocknete sich mit einem Handtuch ab. Regungslos starrten die beiden einander an. Auf seinem schwarzen Brusthaar glitzerten noch einige Wassertröpfchen; er hatte einen vorstehenden Bauch, dünne Beine, und zwischen ihnen baumelte ein fingerlanges Stückchen Fleisch. Sie hatte dunkle Augen, winzige Brüste, eine schmale Taille und jungenhafte Hüften sowie einen Flecken helles Haar zwischen ihren Beinen.
    Sergeant Rudolph trat vollkommen überrascht und zutiefst erschrocken einige Schritte zurück, als habe er einen Geist gesehen.
    Sie begann zu zittern. »Sir, es ist nicht so, wie Sie denken …«
    »Ich denke überhaupt nichts. Ich weiß überhaupt nicht, was ich jetzt denken soll.«
    Sie schlüpfte noch in den anderen Hemdärmel. »Ich bin nicht Martin Willis.«
    »Das ist allzu offensichtlich.«
    »Ich bin Martins Schwester. Seine Zwillingsschwester Pearl.«
    Sie wollte alles gern erklären, aber wo sollte sie damit anfangen?
    »Er überließ mir seine Papiere. Und seine Uniform. Alles. Ich habe mir die Haare abgeschnitten, so wie er sie trägt. Blue und Charlie Styles wussten davon. Sonst niemand.«
    Mit weit aufgerissenen Augen starrte Rudolph unverhohlen auf ihr Schamhaar. »Sie wollen mir doch nicht etwa weismachen, dass Sie seit – seit wann? – seit elf Monaten als Ihr Bruder getarnt beim Militär waren und keiner in der ganzen Zeit dahintergekommen ist?«
    »Styles hat es gemerkt, Sir. Ziemlich schnell. Wir haben Blue eingeweiht und später Wanipe. Niemanden sonst.«
    »Und Farthing? Marks?« Sein Ton klang inzwischen deutlich skeptischer.
    »Nein, Sir. Sonst niemanden.«
    Rudolph atmete tief durch. Er wirkte fassungslos. »Unerhört! Darüber muss ich unverzüglich Meldung machen, Willis. Oder wie immer Sie heißen. Ich kann keine …«
    »Nein, Sir, bitte …«
    »Ich kann doch keine Frau unter meinem Kommando haben!«
    »Aber das haben Sie doch bereits!«
    »Wenn das an höherer Stelle herauskommt, dann werden sie mich …«
    »Genau das meine ich doch«, entgegnete Pearl, schlüpfte in die Hose und zog sie nach oben. »Wie wird die Militärführung reagieren, wenn Sie denen erzählen, dass ich statt meines Bruders Dienst getan habe?«
    »Tja, das ist Ihr Problem. Nicht …«
    »Bei allem gebotenen Respekt, Sir, es ist Ihr Problem.«
    »Sie landen vor dem Kriegsgericht. Sie beide. Sie und Ihr Bruder.«
    »Ich lande als Nächstes erst mal in Mount Hagen«, widersprach sie in sehr bestimmtem Ton. Sie trat ein paar Schritte auf ihn zu und senkte die Stimme. »Ich stehe jetzt seit fast einem Jahr unter Ihrem Kommando. Nichts für ungut, Sir, aber wie wird sich das auf Sie auswirken? Wie wird man Ihre Führerschaft beurteilen? Was kommt darüber in Ihre Laufbahnbeurteilung? Wenn man herausfindet, dass Sie Mann und Frau nicht auseinanderhalten können?« Sie musste an James denken und wie er in der Gegend um Mount Hagen herummarschierte, zusammen mit einem Trupp Aussies und ohne jeden Funkkontakt. »Ich werde nach Mount Hagen fliegen«, insistierte sie, »und niemand wird mich davon abhalten.«
    In diesem Moment fiel Rudolph wieder ein, dass er vollkommen nackt vor ihr stand, denn plötzlich bedeckte er mit einer unwirschen Handbewegung seine Hüften mit seinem Handtuch.
    »Scher dich zum Teufel!«, knurrte er, »Und nimm dein verdammtes Schoßhündchen gleich mit!« Auf der Startbahn begann der Flugzeugmotor warm zu laufen.

23
    Der Berggipfel war von einem Wolkenkranz umgeben. Man konnte kaum unterscheiden, wo Erde und Felsen nicht weiter in die Höhe strebten und wo der Himmel begann. Von ihrem Fenster im Flugzeug aus sah Pearl mit ihrem verbliebenen gesunden Auge Dutzende von

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