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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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Bächen, die sich durch Klüfte und über Steilhänge in langen Kaskaden auf die tiefer gelegenen Hochflächen und Täler ergossen. Weiter unten standen die Hütten der Eingeborenen mit ihren kegelförmigen Dächern auf bisweilen gefährlich geneigten Terrassen; das wirkte so, als ob sie sich gegen die umgebenden Gärten mit ihren grünen und gelben Pflanzreihen lehnen würden. Pearl war zusammen mit Wanipe zwischen mehreren Kisten im hinteren Frachtraum der Stinson Reliant eingezwängt. Sie hielt Pup an der Brust und spürte den warmen Atem des Hundes auf der Haut. Am schlimmsten war der Druck auf den Ohren; sie hatte das Gefühl, sie seien bis zum Platzen mit Wasser gefüllt.
    Pearls Auseinandersetzung mit Rudolph eine Stunde zuvor war nicht gut ausgegangen: Er würde ihr weiterhin grollen. Sie wusste, was für eine schwere Demütigung es für ihn bedeuten würde, wenn ihre falsche Identität je ans Licht käme. Die Folgen für seine Karriere als Offizier wie für sein männliches Selbstbewusstsein wären verheerend. Nur deshalb hatte er letztlich nachgegeben und ihr erlaubt, an Bord des Flugzeugs zu gehen.
    Der Flugplatz befand sich am Osthang des Berges, aber wegen der dichten Wolken konnte der Pilot ihn nicht lokalisieren. Er flog deshalb oberhalb um die weniger wolkenverhangene Bergspitze und kreiste um die obersten Grate und Spitzen. Wenn das Flugzeug auf- und abtauchte und rüttelte, schmiegte sich Pup dicht an ihre Herrin.
    Plötzlich wurde eine schnurgerade braune Scharte an der Westflanke des Berges sichtbar. Aus der Höhe wirkte es zunächst wie ein aufgegebenes Feld, doch als das Flugzeug sich hinabsenkte, erkannte Pearl, dass zwischen den Krüppelbäumen eine Landebahn in das Gelände geglättet war. Die Maschine rüttelte wieder, als die Flugzeugspitze mit dem Propellermotor nach unten gerichtet war. Pearl stockte der Atem, alle ihre Muskeln waren angespannt. In einem Ohr schien etwas zu platzen, dann im anderen. Der Pilot schaltete den Motor ab, und die Maschine tauchte nach unten. Beim Aufprall des Fahrwerks auf dem Boden entfuhr ihr ein Schrei der Erleichterung, und auch der Hund bellte dreimal kurz und offenbar glücklich auf.
    Eine Gruppe amerikanischer Soldaten entlud eilig das Flugzeug. Der Pilot wollte wegen der unsicheren Wetterlage mit all den Wolken und des Nebels so schnell wie möglich wieder zurückkehren. Noch während sie Kisten mit Lebensmitteln neben der Landebahn aufstapelten, berichteten die Amerikaner, dass sie bei der Verteidigung des Flugplatzes in den vergangenen Wochen bereits neun Mann verloren hatten. Nachdem alles ausgeladen war, kletterte der Pilot sogleich wieder ins Cockpit, ließ den Motor an und machte auf der Landebahn kehrt. Augenblicke später hob er wieder von der Bergflanke ab, und das Flugzeug verschwand hinter einem felsigen, wie ein Z geformten Bergkamm.
    Hier oben im Gebirge war es deutlich kälter, und ein ständiger Luftzug wehte durch die mit Flechten bedeckten Bäume. Wegen der dünnen Luft war Pearl ein wenig schwindlig, sie fühlte sich leicht berauscht. Pup inspizierte die gesamte Umgebung und schnüffelte an Blumen und betauten Farnen. Zwischen Grasbüscheln und einigen blauen und violettfarbenen Blüten wucherte Schimmel. Nebelschwaden fegten vom Berggipfel herunter und an ihnen vorbei wie Geister. Pearl war froh, dass sie eine neue Uniform anhatte. In der klammen alten wäre sie sicher längst erfroren. Wanipe hatte sich für diese Reise ebenfalls eine Uniform zugelegt, auch wenn er sich weigerte, Stiefel zu tragen. Die Amerikaner ließen sich bereits das Büchsenfleisch schmecken, auch ohne es aufgewärmt zu haben.
    Pearl fühlte sich keineswegs auf der Höhe. Ihr rechtes Auge war nach wie vor sehr empfindlich, und ab und zu spürte sie hier einen klopfenden Schmerz. Es kam ihr so unwirklich vor, dass Charlie erst vor zwei Tagen ermordet worden war. Sie konnte sich ohne Weiteres vorstellen, dass er unerwartet hinter ihr auftauchte und ihr in den Po zwickte oder dass er rief: »He, Willis, wann gibt’s Kaffee?« Und je länger sie die Amerikaner beobachtete, wie sie aßen und Witze machten, desto deutlicher spürte sie, wie sehr er ihr fehlte und dass dies unumkehrbar war.
    Als die vermisste Einheit sich zum letzten Mal über Funk gemeldet hatte, lautete der Bericht, dass sie sich fünf Kilometer westlich der Landebahn in einem weiter oberhalb gelegenen Gelände befanden. Als sie den Kontakt mit dem Standortkommando verloren, verteidigten sie den

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