Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
Vom Netzwerk:
haben, ist ein Schlamassel, wie er im Buche steht. Auf jeden Arzt und Sanitäter kommen zwanzig Verwundete.« Er bot ihr eine Zigarette an, und sie nahm eine.
    »Ihr könnt gerne eure kleine Truppenbetreuung für die Leute da oben durchziehen, sofern ihr sie ausfindig machen könnt.« Er kicherte und blies den Rauch durch die Nase.
    Pearl blickte auf ihre schlammbespritzten Stiefel hinunter und wusste nicht so recht, ob es Sinn machte, ohne Charlie nach Mount Hagen zu gehen, selbst wenn Farthing und Marks mit von der Partie wären. Sie sollten am nächsten Morgen mit dem Flugzeug ankommen. Sie fand, dass ihre Vorstellung ohne Charlie nicht richtig funktionieren konnte. Vielleicht ließ sich Mount Hagen verschieben, bis er sich wieder erholt hatte. Vielleicht ließ sich die Malaria mit richtigen Medikamenten und etwas Bettruhe schnell auskurieren.
    Nevins bemerkte ihr modriges Hemd samt Hose. »Und im Übrigen melden Sie sich in der Kleiderkammer und lassen sich eine neue Uniform geben. Die fällt Ihnen ja schon vom Leib.«
    Befehlsgemäß holte Pearl ihre neue Uniform ab, bevor sie sich auf den Weg zu Charlie machten, aber sie entschied sich, die Kleidung erst zu wechseln, wenn sie wieder zum Lazarett zurückgekehrt waren. Inzwischen hatte sich auch eine Bahre auftreiben lassen, und sie marschierten sofort mit zwei einheimischen Trägern los; alle beide trugen einen zigarettenlangen Knochen als Nasenschmuck.
    Der Rückweg nahm natürlich weniger Zeit in Anspruch, da Pearl und Wanipe inzwischen gesättigt waren und kein Marschgepäck und keine Instrumente mehr tragen mussten. Das Einzige, was sie jetzt noch dabeihatten, waren ihre Gewehre. Hin und wieder dröhnte von den Berghängen Geschossfeuer; je weiter südlich sie kamen, desto öfter und umso lauter. Pup fing vor Angst zu jaulen an. Pearl fragte sich, warum ausgerechnet sie als Einzige von ihrer Truppe bisher von Malaria verschont geblieben war. Die einzige Erklärung, die sie dafür hatte, war, dass sie seinerzeit in Sydney so viel Chininsulfat hatte einnehmen müssen, als ihre Mutter und Hector davon überzeugt waren, dass sie wahnsinnig geworden war.
    Durch die Nebelfetzen an den Bergen drangen an der einen oder anderen Stelle einige Sonnenstrahlen bis auf den Waldboden. Das flirrende Licht verlieh der ganzen Umgebung etwas Unwirkliches. Ein kleiner Paradiesvogel flog vor ihnen über den Weg, seine langen Schwanzfedern waren ein Büschel in schillerndem Blau. In der Luft lag ein Hauch von Rauch von brennendem Holz, und ständig tropfte Wasser von den Blättern, obwohl es den ganzen Tag über nicht geregnet hatte. Immer wieder hörte man, wie Vögel in den Zweigen hin und her flatterten, und die hohen Kreischtöne, mit denen sie sich gegenseitig riefen.
    Sie erreichten die Stelle, wo der Bergpfad in den Weg mündete, und Pearl deutete auf die etwas höher gelegene kleine Lichtung, nur noch etwa fünfzig Meter entfernt. Die vier stiegen im Gänsemarsch den Pfad hinauf. Der aufgeregte Hund folgte Pearl auf den Fersen. Sie roch bereits jetzt den schwachen Geruch von Erbrochenem, und als sie näher kamen, sah sie jede Menge Fliegen um das Loch schwirren, in das Charlie sich in der Nacht zuvor erbrochen hatte. Und als sie noch näher heran waren, erkannte sie eine lange Blutspur, die sich durch niedergetretenes Gras zog und im etwas höher gelegenen Dickicht zwischen den Bäumen verschwand. Sie stürmte nach vorn auf den Unterstand zu, wo sich ihr ein Anblick bot, der so schockierend und grotesk war, so unvorstellbar, dass in ihrem Innern alles stockte: ihr Atem, ihr Herzschlag, ihr Gehörsinn.
    Charlie lag mit dem Gesicht nach unten und mit ausgebreiteten Armen auf dem Boden. Seine Pobacken, seine Waden und seine Schenkel waren aufgeschlitzt und abgeschnitten worden. Sehnen hingen heraus, und frisches Blut sickerte noch aus den riesigen Fleischwunden auf die Decke. Hunderte Fliegen umschwirrten den Kadaver, gierig nach den Überresten.

22
    Als Pearl erwachte, hörte sie rhythmische Marschtritte und wie jemand Befehle rief. Sie hörte, wie sie kehrtmachten, wenn der Befehl dazu kam, wie sie Halt machten und wie es im Gleichschritt weiterging. Es erinnerte an eine Revuetanzgruppe mit Blei an den Füßen. Ihr Kopf pochte im Gleichklang mit den Marschtritten, eine Weile war sie sich nicht sicher, ob sie alles nur träumte. Sie versuchte die Augen zu öffnen, aber das rechte schmerzte sie sehr.
    Nachdem Pearl das linke Auge geöffnet hatte und in das Morgenlicht

Weitere Kostenlose Bücher