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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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Zwieback und die Scherbe eines zerbrochenen Spiegels, mit dessen Hilfe sie früher die Schminke für die Show aufgetragen hatte. Der Vater war außer sich vor Freude, und jedes der Kinder wollte den Spiegel in die Hand nehmen, als wäre er ein kostbarer Zaubergegenstand.
    Nun folgte der schwierige Teil, denn sie wollte unbedingt von ihm wissen, in welche Richtung die Einheit ihren Weg fortgesetzt hatte. Wanipe versuchte sich mit verschiedenen Worten verständlich zu machen, die er in seiner Zeit als Wanderhändler aufgeschnappt hatte, aber der Mann sah sie immer nur verdutzt an und antwortete in seiner völlig unverständlichen Sprache. Pearl griff nach den Rasierklingen und den Streichhölzern, die er ihnen ursprünglich gezeigt hatte, und zeichnete mit den Händen die Umrisse eines Menschen nach. Dann zuckte sie mit den Achseln und deutete von der Veranda aus in verschiedene Richtungen. Das wiederholte sie mehrere Male, bis der Familienvater zu lächeln anfing, über die Veranda lief und auf einen Felskamm im Westen deutete.
    Sie gaben dem Mann die federgeschmückten Muscheln zurück und nahmen stattdessen zehn Süßkartoffeln und zwei Schweinefüße. Die Kinder waren traurig, als sie sich verabschiedeten, und folgten ihnen eine ganze Weile über die gras- und blumenbestandene Bergwiese. Dabei spielten sie die ganze Zeit mit Pup Stöckchenholen, bis ihnen das zu langweilig wurde und sie nach Hause zurückkehrten.
    Es war bereits Abend geworden, als Pearl, Wanipe und Pup den Felskamm schließlich erreicht hatten. Er entpuppte sich als Rand eines langgestreckten Plateaus aus Kreidefels, anscheinend oberhalb einer Schlucht gelegen. Im Augenblick war es unmöglich abzuschätzen, wie tief der Abgrund war, und man konnte auch nicht sehen, was sich auf der gegenüberliegenden Seite befand, denn alles war von dicken Nebelschwaden verhüllt. Der Felsboden war nass und teilweise mit Moos überzogen. In einer weiter hinten gelegenen Felswand konnte man Spalten und Einbuchtungen erkennen, und nachdem sie eine Weile am Rand des Plateaus entlanggegangen waren, entdeckte Wanipe eine Höhle, in der sie für die Nacht kampieren konnten. Die Schweinsfüße waren eine willkommene Abwechslung, da sie ja monatelang nur Büchsenfleisch und Zwieback gegessen hatten. Pearl schloss Pup in die Arme, aber sie schlief nicht besonders gut auf dem harten Steinboden in der Höhle. Sie hatte eine Art Albtraum von einem Auftritt mit einer Kapelle, bei dem sie gezwungen war, ein Solo in einem völlig unwirklichen Tempo zu spielen. Sie blies mit aller Kraft unablässig in das Mundstück und drückte ständig auf die Tasten des Instruments, doch es kam kein einziger Ton heraus, auch wenn sie sich noch so sehr anstrengte.
    In der Morgendämmerung erklang das Klagelied eines Vogels, ein unablässiges, sehnsuchtsvolles Zwitschern. Da Wanipe noch schlief, kletterte Pearl allein aus der Höhle und reckte die Glieder. Stellenweise war der Kreidefelsen mit Eis überzogen, das im Moos silbrig glitzerte. Pup wieselte auf dem Plateau umher und jagte einem Käfer nach. Als die Sonne aufging, hob sich an einigen Stellen der Nebel in der Schlucht, sodass man da und dort den tiefen Abgrund erahnen konnte. Der steile Abhang war stellenweise mit hellgrünem Gebüsch und Krüppelbäumen bewachsen, besonders an einigen schmalen Geländestufen; das Ganze wirkte wie eine breite, aber steile Treppe für Riesen. Beinahe auf dem Talgrund konnte sie anhand der Umrisse und der Metallfarbe ein kleines abgestürztes Flugzeug erkennen. Der Vogel, von dessen Lied sie aufgewacht war, zwitscherte in einem fort; sie folgte dem Ton und fand sein Nest in einigen Metern Entfernung. Es war in eine Kuhle in den Kreidefels hineingebaut, ein nach oben gerichteter Kranz aus Zweigen und Blättern, der mit Halmen, Federn und einigen durchschimmernden Insektenflügeln besät war sowie mit einem feinen Büschel, das wie blondes Menschenhaar aussah und in der Sonne glänzte. Der winzige Laubenvogel mit seinen zerzausten blauen Federn stand unter seinem Nestbogen und zwitscherte angelegentlich in die Morgensonne.
    Pearl wollte sich gerade umdrehen, um zur Höhle zurückzukehren, als sie aus den Augenwinkeln bemerkte, wie sich auf einer der unteren Geländestufen des Abhangs der Schlucht etwas bewegte, vielleicht einen knappen Kilometer weit entfernt. Sie trat näher an den Rand des Abgrunds und spähte hinunter. Zwei, drei menschliche Gestalten bewegten sich Richtung Osten, in die schräg

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