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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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einer Maschinenpistole, und Pearl konnte hören, wie Querschläger von den Kreidefelsen in der Schlucht abprallten. Sie trat ein wenig zurück und hörte nicht auf zu blasen, ließ ihre Finger willkürlich über die Tasten laufen. Es war wirklich ein langer, dissonanter Urschrei. Der Nebel lichtete sich, und von ihrer Position aus konnte sie auch beobachten, wie die Australier auf ihrer Geländestufe kehrtmachten und im Galopp in westlicher Richtung zurückliefen, in den Rücken der Japaner hinein, und sich Deckung suchten. Sie bemerkte, wie einer der Japaner jäh nach hinten fiel, über den Abhang nach unten rollte und schließlich in der Schlucht verschwand. Gelegentlich holte sie keuchend Atem und versuchte noch lauter zu spielen, um den Feind noch weiter von Wanipes Stellung wegzulocken. Zwei Kugeln pfiffen über den Felsrand; sie zuckte zusammen, als sie über dem Höhleneingang einschlugen. Eine andere Kugel prallte an der Höhlendecke ab. Sie musste die Schenkel zusammenpressen, damit sie nicht die Nerven verlor.
    Pearl sog neue Luft tief in Lungen und Bauch ein; bevor sie es selbst richtig merkte, spielte sie schneller und schneller, aber ohne ein bestimmtes musikalisches Tempo oder gar eine Melodie.
    Sie konnte von ihrem Standort aus viele Einzelheiten des Gefechts nicht erkennen, allerdings den Angriff der Japaner anhand der Tonhöhe ihrer Gewehrschüsse in etwa mitverfolgen. Eine Kugel streifte den Rand ihres Helmes und irrte im Zickzack durch die Höhle.
    Sie war völlig überrascht, als sie die Stimme eines Mannes mit japanischem Akzent hörte, der laut auflachte und dann »Aussie! Aussie! Wo hast du dich versteckt?« rief. Sie klang aus der Schlucht zu ihrer Linken herauf. Pearl sprang nun vom Eingang der Höhle zu einer Einbuchtung in der Kreidewand weiter rechts, weil sie annahm, dass sie den Feind dadurch weiter von Wanipe ablenkte. Als sie sich in die V-förmige Nische zwängte, bemerkte sie, dass der Laubenvogel sein Zuhause aus Zweigen und angesammelten Schätzen verlassen hatte. Eine Handgranate flog durch die Luft und schlug auf der Kreidewand auf; durch die Explosion lösten sich Brocken und stürzten in einer Staubwolke ins Tal. Nachdem der Schutt zu Boden gesunken war und sich der Staub gelegt hatte, konnte sie deutlich sehen, wie ungefähr fünf Japaner eilig den Hang hinaufkletterten, hastig verfolgt von einigen Australiern. Doch sie wusste nicht, ob Männer der gegnerischen Einheit gefallen waren oder ob sich die Japaner, in der Annahme, dass sie umzingelt waren, in mehrere kleine Gruppen aufgeteilt hatten. Die Nische, in der Pearl stand, wirkte ebenfalls wie ein Schalltrichter, und sie spielte wie wild auf dem Saxofon. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren, wie lange sie mit dieser Geschwindigkeit auf dem Instrument gespielt hatte – vielleicht fünf Minuten, vielleicht zehn –, als zwei Japaner kurz hintereinander getroffen auf den Rücken fielen. Gleich darauf fiel einer der Australier ein Stück weiter unten von dem Ast eines Baumes mit dem Gesicht voran in den Matsch.
    Sie meinte gesehen zu haben, wie Pup durch das Unterholz zu ihrer Rechten jagte, und lehnte sich, noch immer mit dem Saxofon vor dem Mund, aus der Nische, um genauer hinschauen zu können. In diesem Augenblick sah sie ihn, nur etwa drei Meter entfernt, am Rand des Abgrunds. Ein sehr schlanker Japaner mit langen Haaren bis auf die Schultern, das Gewehr im Anschlag, den Lauf direkt auf sie gerichtet. Obwohl ihr ganzer Körper vor Angst zitterte, sog sie die kalte Morgenluft tief in ihre Lunge ein, und ihre Finger tanzten auf den Tasten wild auf und ab. Der Japaner rief etwas und trat ein paar Schritte auf sie zu. Der Wind frischte auf und pfiff über das Plateau; Pearl spielte im Einklang mit diesem Pfeifen. Der Soldat wiederholte seinen Ruf und schüttelte sein Gewehr. Sie sah die Wut in seinen Augen und hoffte, er würde vielleicht seine Waffe herunternehmen und den Rückzug antreten, wenn sie nur konsequent weiterspielte. Irgendwo ganz in der Nähe bellte Pup. Als sie in die zornsprühenden braunen Augen des Feindes sah, wurde der infernalische Lärm aus dem Saxofon zu einem Flehen. Er stieß einen gellenden Schrei aus und rannte auf sie zu. Im nächsten Bruchteil einer Sekunde erhaschte Pearl einen Blick auf einen weiteren Soldaten, der hinter ihm auftauchte und ebenfalls ein Gewehr in Anschlag brachte. Es war der Farbige in der australischen Uniform. Er war vollkommen abgemagert, sein krauses Haar war ziemlich

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