Bis ans Ende des Horizonts
verdammt noch mal!«, rief sie wieder. Dann brach die Verbindung ab.
Wütend und enttäuscht hieb sie in die Luft und hätte den Sender am liebsten zu Boden geschmettert. Doch nun griff sie sich Wanipes Gewehr, kroch wieder nach draußen und rannte zu ihm zurück. Sie schaute wieder durch das Fernglas. Die Australier hatten gegenüber den Japanern etwas Boden gutgemacht. Ihr Ziel war allem Anschein nach ein Bach, der noch weiter östlich zwischen Klüften hervorgischtete und über den Abhang weiterfloss. Ihr Vorsprung war nur ein kleiner Vorteil, denn bisher wurden sie nur von den aufsteigenden Nebelschwaden vor dem unausweichlichen Massaker bewahrt. Da Wanipe und sie nur über eine Waffe verfügten, wurde sie von einem Gefühl der Ohnmacht überwältigt. Sie sah sich aller Möglichkeiten beraubt, das drohende Unheil zu verhindern. Und dennoch musste unbedingt etwas geschehen, dachte sie, etwas, das den Feind ablenkte und gleichzeitig die Australier in der Ferne in Alarm versetzte. Sie richtete das Fernglas wieder auf die Japaner und sah, wie die zwanzig Mann starke Einheit über den Abhang auf die nächste Geländestufe hinabkletterte. Bevor sie sich über die möglichen Folgen allzu viele Gedanken machen konnte, war sie schon wieder in der Höhle zurück, setzte ihr Saxofon zusammen und legte ihr letztes Rohrblatt in das Mundstück ein. Ihre Hände zitterten so stark, dass sie Mühe hatte, das Mundstück richtig an das Instrument anzusetzen. »Hier«, sagte sie zu Wanipe und drückte ihm das Saxofon in die Hand. »Du bleibst hier und bläst ganz, ganz laut. Die Japaner werden umkehren. Sie werden suchen, woher kommt der Ton. Ich gehe mit Gewehr runter. Ich schieße sie ab, wenn sie näher kommen.«
Wanipe runzelte die Stirn und zog die Augenbrauen zusammen, als er den Plan nach und nach verstand. Schließlich schüttelte er den Kopf.
»Aber wir müssen etwas tun!«, jammerte sie. »Sie sind schon zu nahe dran!«
Pup begann zu bellen und mit dem Schwanz zu wedeln, da sie die Spannung zwischen ihrer Herrin und Wanipe spürte.
»Du blasen«, erwiderte er und hielt ihr das Saxofon hin. »Ich schießen.«
»Ich habe das Kommando«, insistierte sie.
Wanipe schüttelte erneut den Kopf und warf einen Blick durch das Fernglas. »Mein Gewehr. Ich schießen. Du Musik. Du Saxofon.«
Er legte das Instrument vor ihr auf den Boden und entwand ihr das Gewehr, bevor sie bemerkte, wie ihr geschah. Dann rannte er fort über das Plateau.
Sie rief ihm hinterher, doch er verschwand bereits über den Abhang Richtung Talgrund. Pup lief eifrig hinter ihm her, als wäre das alles ein neues, aufregendes Spiel, eine neue Vorstellung mit Belohnung und Applaus.
Pearl fluchte vor sich hin, als sie das Saxofon vom Boden aufhob: »Verdammt! Verdammt! Verdammt!« Je höher die Sonne stieg, desto mehr lösten sich Dunst und Nebel auf. Blinzelnd konnte sie nun weiter unten die Marschreihe der Japaner zwischen dem Gebüsch ausmachen. Inmitten der großartigen und gigantischen Landschaft wirkten sie so winzig und harmlos. Das Missverhältnis zwischen diesem Erscheinungsbild und der tatsächlichen Gefahr, die sie darstellten, ließ Pearl schaudern. Ab und zu tauchte Wanipes Kopf zwischen dem Gebüsch und den Bäumchen am Abhang auf. Er fand eine gut gedeckte Position hinter einem Felsbrocken ungefähr fünfzig Meter hangabwärts. Wanipe hob den Arm und winkte ihr zu, und sie winkte zurück. Der Augenblick zu handeln war gekommen. Sie zog sich vom Rand des Abhangs an den Eingang der Höhle zurück. Zum einen war sie dadurch besser geschützt, zum anderen sollte der trichterförmige Eingang den Ton verstärken. Sie setzte das Saxofon an die Lippen; das Mundstück fühlte sich wie ein Stück Eis an.
Pearl steigerte sich ganz in die Vorstellung hinein, dass der Farbige, den sie mit den anderen Australiern durch das Fernglas gesehen hatte, tatsächlich James war und dass sie sie mit Hilfe ihres Saxofons alle retten konnte. Sie legte ihre Finger auf das Instrument, atmete tief ein und begann fest zu blasen. Doch sie spielte keine vertraute Melodie. Eine Art Urschrei entrang sich dem Schallbecher des Saxofons und schallte wie ein Echo durch das Tal. Vom Eingang der Höhle aus konnte sie erkennen, wie die japanische Truppe unvermittelt stehen blieb. Die Soldaten duckten sich und richteten ihre Gewehrläufe in alle Himmelsrichtungen, da sie nicht ausmachen konnten, wo das Geräusch herkam. Der erste Gewehrschuss knallte los. Dann begann das Rattern
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