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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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Armlehne ihres Theatersessels hatte sie wie hypnotisiert dem raschen und völlig eigenartigen Rhythmus der Musik gelauscht und verwundert diese Männer betrachtet, sie die hervorbrachten.
    »Es war die erste Schwarzen-Jazzband auf einer Tournee in Australien«, erklärte sie. »Und von diesem Abend an wusste ich, was ich werden wollte.«
    James lächelte. »Du wolltest eine Farbige werden?«
    »Quatsch!« Sie stieß ihm in die Rippen. »Ich wusste, dass ich Jazz spielen wollte.«
    Wenige Jahre später bildete sie mit Martin und dem Nachbarsjungen Charlie Styles, der Kornett spielte, eine Kindergruppe, und sie taten so, als seien sie eine Band, gingen im Gänsemarsch durch das Kings-Cross-Viertel, schlugen auf Töpfe und Pfannen und bliesen abwechselnd in die Tute des Jungen.
    Als Pearl und James die Stufen der Brücke herunterrannten, fing es an zu regnen, und sie flüchteten in einen Fußgängertunnel, der sich zu einer der Kopfsteinpflasterstraßen in dem alten Stadtviertel Rocks hinüberwand. Pearl blieb stehen, drückte James gegen die geflieste Wand und küsste ihn. Vom anderen Ende des Tunnels her hörte man Schritte, und dann erschien der Umriss eines Passanten in der hellen Öffnung des Tunnelmundes. James stieß sie von sich. »Nicht hier, Baby«, murmelte er. »Nicht jetzt.«
    Sie war völlig überrascht, wie schnell seine Stimmung umgeschlagen war.
    »Wo ist denn der nächste Bahnhof?«, wollte er wissen.
    »Wieso?«, fragte sie in neckischem Ton. »Hast du sonst noch eine Verabredung mit einer Verehrerin?«
    Über diesen Scherz zeigte er sich keineswegs amüsiert. »Ich muss mich im Camp zurückmelden.«
    Sie überquerten eine Straße und umrundeten eine Eckkneipe.
    »Was hältst du davon, wenn du mich nach meiner Vorstellung morgen Abend abholst?«, schlug sie vor. Er ging ein wenig vor ihr her, und sie musste ausschreiten, um mit ihm Schritt halten zu können. »Ich kenne ein Café in Kings Cross, wo auch Schwarze Zutritt haben. Einige spielen dort sogar in einer Band!«
    Sie kamen an einer Reihe heruntergekommener Backsteinhäuser vorbei. Schließlich erwiderte James: »Ich kann es ja versuchen.«
    Beinahe in Panik fragte sich Pearl, ob sie ihn jemals wiedersehen würde.
    »Und wie ist es nächsten Sonntag?«, insistierte sie. »Da habe ich Geburtstag. Zusammen mit meinem Bruder. Es wird ein großes Mittagessen geben.«
    James schob die Hände in seine Hosentaschen. »Werden deine Eltern auch da sein?«
    »Selbstverständlich«, antwortete Pearl. »Und meine Großmutter übrigens auch.«
    Er schob lediglich seine Unterlippe vor und blickte ihr nicht mehr in die Augen. »Mal schauen«, sagte er dann. »Ich werde sehen, was ich machen kann, damit ich dort fortkomme.«

3
    Bis Pearl ihre Straße in Potts Point erreichte, war es halb acht. Da hatte sie James schon zum Town-Hall-Bahnhof begleitet und ihm ihre Adresse auf einen Zettel geschrieben sowie die Uhrzeit für ihr Geburtstagsessen und den Namen des Cafés, wo sie sich am folgenden Abend treffen wollten. Sie verabschiedeten sich mit einem Händedruck und einem letzten Winken voneinander, bevor er auf der Treppe nach unten zum Bahnsteig verschwand. Sie wünschte sich nichts mehr, als ihn bald wiederzusehen, doch sie war sich über seine Gefühle für sie nicht im Klaren.
    Obwohl es inzwischen wieder angefangen hatte zu regnen, beobachtete sie, wie einige Nachbarn dabei waren, Möbel aus ihren Wohnungen und Häusern zu räumen und auf Lastwagen zu verfrachten.
    Die Niederschläge wurden heftiger. Pearl rannte bis zur nächsten Nebenstraße, und sie würde im Augenblick alles dafür geben, um zu Hause bei ihrer Familie zu sein und vor dem wärmenden Kamin zu sitzen.
    Als sie – ohne Strümpfe und mit halb zerrissenem Kleid, das ihr auch noch teilweise nass am Körper klebte – zum Gartentor hereinkam, erschien ihre Mutter in der offen stehenden Haustür und rief: »Gott sei Dank, du bist ja noch am Leben!«
    Sie eilte die Stufen herab und nahm ihre Tochter fest in die Arme. Dann trat sie einen Schritt zurück und blickte mit Entsetzen auf den Riss im Kleid.
    »Diese elenden Japse! Wie haben sie dich behandelt? Ich bringe sie um! Ich bringe diese Bastarde um!«
    »Nicht doch, Mum«, erwiderte Pearl. »Mit mir ist alles in Ordnung. Ich bin nur …« Clara schob sie die Treppe hinauf auf die Veranda. Ihr Vater Aubrey kam aus dem Untergeschoss hochgestürmt und umarmte sie zärtlich. Martin folgte ihm mit einer nicht brennenden Zigarette im Mund. Er war

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