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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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Projektionsfläche romantischer Visionen. Mit ihren vierundzwanzig Jahren war sie überhaupt erst zweimal mit einem Mann verabredet gewesen, und beide Male endete es vorzeitig und in Tränen. Seit einigen Monaten flirtete sie hartnäckig mit Pookie, einem der Türsteher im Trocadero, aber bis jetzt hatte sich darüber hinaus noch nichts ergeben.
    »Wenn du willst, kannst du James heute Abend kennenlernen«, hatte Pearl ihr zuvor schon versichert. »Nach der Vorstellung. Im Arabischen Café.«
    Inzwischen war es bereits beinahe schon Mitternacht, und weder von James noch von Martin und Roma, die ebenfalls hierherkommen wollten, war irgendetwas zu sehen. Nora nippte an ihrem Wein und lauschte aufmerksam dem Pianisten, der nun eine Pause einlegte und in die Küche humpelte. Allmählich wurde Pearl kribbelig. Nicht nur, weil James eigentlich schon seit einer halben Stunde überfällig war, sondern auch, weil sie den Eindruck hatte, dass sie Nora leidtat, die James inzwischen bei jenen amerikanischen Schuften einordnete, die sich eins von den Mädchen vor Ort greifen und es dann schneller wieder fallen lassen, als man einen Hamburger bestellen kann. Endlich erschienen wenigstens Martin und Roma, die sich bei ihm untergehakt hatte. Er trug noch immer das Dinnerjackett, das im Trocadero zur Ausstattung der Big Band der Männer gehörte, und ihre Haut schimmerte im Kerzenlicht kupferfarben und kontrastierte schön zu ihrem hellen knielangen Kleid. Ihre Haare hatte sie zu einem losen Knoten hochgebunden, der mit weißen Lilien geschmückt war. Sie schaute sich unsicher in dem Café um, als käme sie sich hier etwas deplatziert vor.
    Martin kam an ihren Tisch und stellte Nora und Roma einander vor. Von Nahem wirkte Romas Haut doch etwas dunkler als von Weitem, und sie hatte einen ausgeprägten Schönheitsfleck auf der Oberlippe. Einen Augenblick lang spürte Pearl einen Stich Eifersucht; bislang war noch nie eine andere Frau zwischen Martin und sie getreten. Gleichzeitig war sie sich vollends darüber im Klaren, dass ihr das mitnichten aufgefallen wäre, wenn James bereits da gewesen wäre.
    Pearl nahm bewusst die Rolle einer Quasi-Gastgeberin ein und bestellte Wein für alle. Sie fragte Roma höflich über ihre Familie und ihre Heimat aus. So erfuhr sie, dass ihr Vater Schafzüchter war und dass sie mit Pferden umgehen konnte, seit sie fünf Jahre alt war. Dies war ihr erster Aufenthalt in Sydney.
    Pearl wollte noch wissen, wie Roma die Arbeit im Booker T. Washington Clubfand, doch bevor ihr Gegenüber antworten konnte, fuhr Martin dazwischen, indem er sagte: »Weißt du, Pearl hat neulich dort ihren neuen Freund kennengelernt. James. Den Saxofonisten.«
    Daraufhin entstand eine peinliche Stille. Pearl ließ die Reste des Weines im Glas kreisen, als könnte sie anschließend im Weinsatz ihre Zukunft lesen. Es war schon schlimm genug, dass James nicht aufgetaucht war, aber Martin und Roma so glücklich und unbeschwert miteinander umgehen zu sehen machte sie noch unglücklicher. Der Barpianist fing an, seine Notenblätter zusammenzusammeln, und der Inhaber des Cafés rief zur letzten Bestellung auf. Hatte sie James irgendwie beleidigt? Ihn schlecht behandelt? Ihr kam wieder in den Sinn, wie er sich in dem Tunnel nach Rocks unvermittelt von ihr abgewandt hatte. Vielleicht fand er sie zu direkt.
    Pearl hob die Hand, um sich die Rechnung bringen zu lassen. Vielleicht war aber auch Noras Verdacht durchaus berechtigt.
    Da sie erst am Abend zur Arbeit gingen, halfen Pearl und Martin ihrem Vater tagsüber beim Ausbau des Kellers zu einem Luftschutzbunker. Als sie Aubrey beim Anrühren des Mörtels und Aufmauern der Ziegel zur Hand ging, erwähnte Pearl beiläufig, dass sie sich zu ihrem achtzehnten Geburtstag ein neues Saxofon wünschte, doch diese Bemerkung wurde lediglich mit einem Brummen und einem langen Schweigen quittiert. Sie wusste, dass sie im Moment nicht viel Geld hatten, aber sie wollte es wenigstens einmal probiert haben.
    Die Tage zogen zäh vorbei, und immer wieder musste sie an James denken. Es war wie ein stets wiederkehrender Traum. Seit jenem Abend im Luna Park waren fünf Tage vergangen, und bisher hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Sie hatte versucht, ihn im Booker T. Washington Clubvom Trocadero aus anzurufen, wo er inzwischen spielte, doch die Telefonistin dort sagte jedes Mal, dass sie sie nicht verbinden könne. Was war, wenn er sie einfach nicht mehr sehen wollte? Was, wenn er woandershin versetzt worden

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