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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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bewusst, wie real der Krieg war. Die Gerüchte, die sie aufschnappte, sprangen von einer Ladentheke zur anderen, von einem offen stehenden Fenster zum nächsten, von einer Gartenpforte zum nächsten Zaun. Es hieß, dass einige überlebende Japaner aus ihren U-Booten entkommen waren und sich in irgendwelchen Gebäuden am unteren Ende der Wylde Street versteckt hielten, gar nicht weit entfernt von dem Haus, wo sie mit ihrer Familie lebte. Der Feind konnte jeden Moment zum Angriff übergehen.
    »Das werden sie doch mal besser schön bleiben lassen!«, sagte sie empört zu dem Inhaber des Obst- und Gemüsestandes in der Macleay Street, der in Windeseile seine Waren wegräumte und Grünzeug und Früchte in die Kisten warf. Sie wollte auf keinen Fall, dass ein Häufchen Invasoren – oder sonst jemand – ihrer Romanze mit dem Gefreiten James Washington in die Quere kam.
    Als sie wieder nach Hause kam, war die ganze Straße übersät mit Last- und Lieferwagen. Überall wurden Möbel und Kleidungsstücke aus den Wohnungen geräumt. Polstersofas wurden auf die Dächer von Autos geschnallt, Stuhlbeine ragten zu geöffneten Wagenfenstern heraus; Töpfe, Pfannen, Grammofone, Beistelltische und Schränkchen wurden trotz des starken Regens auf Pferdekarren geworfen. Anscheinend versuchten alle, einer wirklichen oder vermeintlichen japanischen Invasion zu entkommen. Die Leute wollten in Richtung der westlich gelegenen Blue Mountains fliehen oder noch weiter bis nach Lithgow, nach Mudgee oder sogar bis nach Bourke.
    Ihre Mutter Clara jedoch traf keinerlei Vorkehrungen für einen Umzug, sondern hatte sich, ganz im Gegenteil, freiwillig beim örtlichen Verband der Volksarmee von Sydney gemeldet, der sich in der Aula der Plunkett Street School im nahegelegenen Stadtteil Woolloomooloo eingerichtet hatte. Bei Einbruch der Dunkelheit kam sie nach Hause und verkündete, wie sie gelernt hatte, Handgranaten aus Konservendosen zu machen und Pudding ohne Eier zu kochen. Aubrey hatte in der Zwischenzeit Pläne geschmiedet, um den Keller in einen Luftschutzbunker zu verwandeln. Ein Raum würde mit weiteren Ziegelwänden verstärkt und mit Klappbetten, einem Abflussrohr und einer massiven Stahltür versehen.
    Am folgenden Tag erschien ein Luftschutzhelfer und zeigte ihnen, wie man schwarze Teerpappe auf alle Fenster klebte. Dann klopften zwei Polizisten an die Haustür und berichteten Pearl und ihrer Familie, dass man auf einen zweiten Angriff gefasst sein müsse.
    »Falls Sie direkten Feindkontakt haben sollten, Miss«, richtete sich einer von ihnen an die Tochter des Hauses, »dann ist es das Beste, wenn sie einfach lächeln und ihnen zuwinken.«
    Weder lächelte noch winkte sie, als sie am darauffolgenden Abend im Arabischen Café auf James wartete. Zusammen mit ihrer besten Freundin Nora Barnes saß sie dort am offenen Fenster, von wo aus man die Darlinghurst Road überblicken konnte. Normalerweise wirkte diese Straße mit all den Neonreklamen, Autoscheinwerfern, herumflanierenden amerikanischen Soldaten und leichten Mädchen sehr belebt, aber seit dem japanischen Angriff waren die Nachtschwärmer verschwunden und sämtliche Lampen und Leuchtkörper mit Metallschirmen abgedeckt. Auch dieses Café, normalerweise einer der beliebtesten Treffpunkte und immer gut besucht, war nur noch halb voll; hauptsächlich hielten sich dort Kleinkriminelle und Stammgäste aus dem Viertel auf, die sich nicht darum scherten, trotz einer drohenden Invasion wegzuziehen. Zu den Unentwegten gehörte auch der Barpianist mit dem Holzbein, der gerade den Beale Street Blues hämmerte.
    Pearl hatte Nora bereits so inbrünstig von James berichtet – über die gemeinsame Nacht im Luna Park, ihren morgendlichen Spaziergang in die Stadt und wie groß und gutaussehend er war –, dass Nora murmelnd bekannte, sie würde ihn auch gern kennenlernen.
    Mit einem Mal schämte sich Pearl für die Art, wie sie von James schwärmte. Ihre Freundin hatte perlmuttglatte Haut, seidig glänzendes blondes Haar und dunkelblaue Augen, die beim Lachen immer feucht zu schimmern anfingen. Sie hatte einen ausgesprochen schrägen Sinn für Humor und war einer der großzügigsten Menschen, die Pearl je begegnet waren. Allerdings war sie auch das pummeligste Mädchen in der Band. Sie platzte schier aus dem einheitlichen weißen Spitzenkleid, das sie bei Auftritten alle trugen; dieser Umstand sowie die Tatsache, dass sie die Schlagzeugerin des Orchesters war, machten sie nicht gerade zur

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