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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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Erwachsenen stehen blieben, ihre Augen mit den Händen beschirmten und ihre Körper im Takt der Musik bewegten. Ein andermal stellten sie sich, nur um sich einen Jux zu machen, als Straßenmusikanten am Circular Square auf; nach drei Stunden hatten sie sage und schreibe sieben Pfund, eine Flasche Bier, eine Handvoll Walnüsse und ein Bündel religiöser Broschüren eingesammelt.
    Wann immer es ging, versuchten sie die beiden Abende gemeinsam zu verbringen, an denen Pearl nicht im Trocadero auftreten musste. Meistens gingen sie zum Schluss ins Arabische Café in Kings Cross zum Abendessen. Üblicherweise sprang James dort irgendwann einmal auf und hielt eine Jamsession mit dem einbeinigen Pianisten.
    Eines Abends verließen sie das Arabische Café kurz vor der Sperrstunde und gingen die Straße entlang; James hatte seine Hände tief in den Hosentaschen vergraben, Pearl hatte ihre unter die Manschetten ihres Mantels eingezogen, damit sie warm blieben. Wie der Wind durch die Platanenblätter raschelte, hörte es sich an wie das Quietschen von Autoreifen auf nassem Asphalt. Die Lampen der Straßenbeleuchtung schimmerten so schwach, dass sie gegen den dunklen Nachthimmel wie hinter Wolken verborgene Mondlichter wirkten. Eine Gruppe weißer GIs verließ gerade das Café California auf der anderen Seite der Straße. In ihrem Schlepptau befanden sich zwei Frauen, die am Straßenrand wild mit ihren emporgehaltenen Fuchspelzstolas winkten. Eine von ihnen stolperte beinahe, aber dann packten die Männer die beiden in ein herbeigefahrenes Taxi, das sofort losschoss und nach links in die Springfield Avenue abbog.
    Pearl und James setzten ihren Weg fort, bis es allmählich nirgendwo mehr elektrische Beleuchtung zu sehen gab. Alle Clubs, Bars und Restaurants hatten mittlerweile geschlossen, und nachdem sie die Elizabeth Bay Road überquert hatten und in die Macleay Street eingebogen waren, wirkte mit einem Mal alles ganz finster. Pearl blinzelte kurz in die Dunkelheit. Zuerst konnte sie gar nichts erkennen, obwohl sie wusste, dass sich zu ihrer Rechten ein altes großes Gebäude befinden musste. Doch es dauerte ein paar Sekunden, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und sie die Umrisse eines Erkers vor dem Sternenhimmel ausmachen konnte.
    Angesichts der Dunkelheit hatte sie den Mut, ihren Arm um seine Hüfte zu schlingen und ihre Hand in seine Hosentasche zu stecken. Da sich nun ihre Finger um seinen Hüftknochen legten, kam es ihr vor, als seien sie ein richtiges Paar unter ganz regulären Umständen, wo man sich keine Gedanken mehr um die Reaktionen der Menschen auf der Straße machen musste – ihr Grinsen, ihr Stirnrunzeln, möglicherweise sogar irgendwelche Feindseligkeiten.
    Als sie an dem großen alten Gebäude im viktorianischen Baustil vorbeiliefen, kam ihr ein verwegener Gedanke.
    Pearl drückte das quietschende schmiedeeiserne Tor nach innen und führte James auf den Zugang zum Haus. Weder protestierte er noch gab er sonst ein Geräusch von sich, sondern er folgte ihr ganz einfach. Das Haus wurde von fünf Geschwistern, alles alte Jungfern, bewohnt, die nach dem Vorfall mit den Japanern im Hafen von Sydney mitsamt ihrer Menagerie von Katzen und Kanarienvögeln Hals über Kopf geflohen waren. Sie waren schon seit Monaten nicht mehr gesehen worden; die Fenster waren mit Brettern vernagelt und der ehedem sehr gepflegte Rasen war nun mit Gras und Löwenzahn überwuchert. Die Haupteingangstür war selbstverständlich verschlossen, daher ging Pearl an der Veranda und der rechten Gebäudeseite entlang zum rückwärtigen Hof. Sie versuchte vergeblich, ein Fenster oder den Hintereingang zu öffnen; alles war fest verriegelt. Erst als sie an einem Eisenring an der Kellertür zog, öffnete sich ein Zugang zu der alten Villa.
    Pearl hatte damit gerechnet, dass James etwas dagegen sagen würde, wie sie sich mir nichts, dir nichts in ein fremdes Haus hineinschlich. Doch als sie sich an der Mauer entlang die Treppen zum Keller hinuntertastete und anschließend eine Holztreppe emporstieg, die zum Erdgeschoss führte, waren seine Schritte hinter ihr das einzige Geräusch, das sie vernahm. Nachdem sie dort angekommen waren, zündete James ein Streichholz an, und nach und nach tauchten im Dämmerlicht ein Holzofen, ein Kamin und eine Reihe von Schränken auf; aber kaum war das Streichholz verloschen, verschwamm alles wieder in der Dunkelheit. Er riss ein neues an, und Pearl entdeckte eine Kerze auf einer Wandkonsole. Sie

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