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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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Doch als Pearl ihren Bruder darauf ansprach, wollte er nichts dazu sagen und erklärte das Gerede als vollkommenen Unsinn. Und als ob das nicht schon genug wäre, womit er sich herumschlagen musste, hatte er eine Woche zuvor von den Behörden eine Aufforderung erhalten, sich bei einer Arbeitsagentur für eine Zwangsverpflichtung registrieren zu lassen. Jetzt musste er tagsüber vierzig Stunden pro Woche in einer Fabrik arbeiten, und abends spielte er nach wie vor im Trocadero.
    Während Pearl und Nora noch immer bei dem Wasserspender auf ihren Auftritt warteten, tauchte plötzlich ein junger Aushilfskellner auf und überbrachte Pearl eine Nachricht. Sie entfaltete den Zettel, auf dem stand: »Eingangstür. Notfall!«
    Nora steckte den Flakon in ihren Ausschnitt, und sie beide kämpften sich ihren Weg durch das Getümmel und schlängelten sich zwischen den Tischen bis ins Foyer. Nora war bereits reichlich beschwipst und hatte daher Mühe, gerade zu gehen. Sie mussten sich beeilen, denn die Männerkapelle spielte bereits ihr letztes Lied – Airmail Special –, und so würde es nicht mehr lange dauern, bis sich die Drehbühne in Bewegung setzte. Wenn die Männer nach rechts vom Podium verschwanden, wurde die Big Band der Damen von links auf die Vorderseite der Bühne gedreht, als wäre es ein Orchester-Karussell. Lionel Bowald, der englische Dirigent, war sehr streng; jeder – egal ob Mann oder Frau –, der nicht rechtzeitig seinen Platz im Bühnenhintergrund eingenommen hatte, bevor sich diese zu drehen begann, wurde sofort gefeuert.
    Oben an den Eingangsstufen stritt sich Pookie, der Türsteher, gerade mit einem großgewachsenen amerikanischen Soldaten. »Tut mir leid, Kamerad«, erklärte er, »aber so sind nun mal die Vorschriften.« Pookie war ein rundlicher Typ, Mitte dreißig, mit schütterem Haar; er trug einen scharlachroten Uniformmantel und eine mit Goldlitzen besetzte Mütze.
    Pearl, die noch immer den Zettel in der Hand hielt, stieß von hinten leicht mit dem großen Amerikaner zusammen, und als sie aufblickte, sah sie zu ihrer Überraschung James ins Gesicht. Er war im Moment genauso überrascht wie sie, runzelte kurz die Stirn und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Zu Pookie sagte er: »Du siehst doch, dass ich mit ihr zusammen hier bin.«
    Der Türsteher starrte Pearl mit einer Mischung aus Verblüffung und Entsetzen an. Sie seufzte. Sie hatte mit James ausgemacht, sich erst später am Abend zu treffen, nach ihrer letzten Vorstellung.
    Pearl schaute Pookie Verständnis heischend an. »Es stimmt«, kam sie ihm zu Hilfe, »er ist mein Begleiter.«
    Pookie sah zwischen ihnen beiden hin und her und zuckte mit den Schultern. »Na und? Das ist mir doch egal. Die Anweisung lautet, keine Farbigen hereinzulassen.«
    »Aber hör mal, Pookie!«, mischte sich Nora ein. Sie zog den Flakon aus ihrem Ausschnitt hervor, öffnete den Verschluss und bot ihn ihm zum Trinken an. In den Augen des Türstehers blitzte es kurz auf, und er schaute nervös nach rechts und nach links. Man sah ihm an, wie gern er sich einen Schluck aus dem Fläschchen gegönnt hätte, aber auch das war natürlich gegen die Vorschriften. Er schüttelte den Kopf.
    »Er kann sich doch irgendwo in eine Ecke setzen.« Nora fasste nach dem Ärmel seines Uniformmantels und zupfte daran herum. »Da sieht ihn doch bestimmt keiner.«
    Der Türsteher wurde nun ganz rot im Gesicht und konnte Nora kaum mehr in die Augen sehen. Stattdessen wandte er sich jetzt an Pearl. »Wenn ich ihn hereinlasse, dann werde ich dafür gefeuert.«
    James zuckte mit den Schultern und murmelte, er würde dann lieber gehen, aber Nora war betrunken, und sie hatte sich etwas vorgenommen. Sie warf Pookie ihre Arme um den Hals und drang so stürmisch mit Küssen auf ihn ein, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren und nach hinten gefallen wäre. Nachdem sie sich wieder voneinander losgerissen hatten, war das Gesicht des Türstehers geschwollen und rot wie eine Tomate. Dann fing er allerdings an, breit zu grinsen, und sagte: »Dein Freund darf noch immer nicht herein, aber was haltet ihr davon, wenn ich euch allen nach der Show einen Drink spendiere?« Anscheinend gefiel Pookie die draufgängerische Art des pummeligen blonden Mädchens mit den dunkelblauen Augen, und vielleicht wäre er ja mit seiner stämmigen Figur und dem weichen Kern der Richtige für Nora – ein schönes Paar gaben sie nämlich allemal ab.
    Pearl badete kaum mehr; es gefiel ihr, mit James’ Geruch auf

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