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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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»Was für ein Risiko?«
    Sie durchquerte der Länge nach den ganzen Raum und machte wieder kehrt. »Also, wenn ich der Typ bin, der jeden Morgen den haargenau gleichen Weg zur Arbeit nimmt, was hältst du dann von jemandem, der nicht einmal seine Freundin an die Hand nimmt, wenn er mit ihr durch die Stadt läuft. Erzähl du mir was von Risiken. Davon, dass man sich auf ein Abenteuer einlassen muss …« Sie war sich darüber im Klaren, dass sie zu weit gegangen war, sie hatte sich nicht mehr bremsen können.
    »Mein Liebling, ich versuche nur, dir beizubringen, wie man ein Solo spielt.«
    »Wenn du glaubst, dass ich so langweilig bin …«
    »Ich finde nicht, dass du langweilig bist«, konterte er. »Nur deine Art zu spielen ist es.«
    Das war so, als hätte er sie mit einem Schürhaken aufgespießt. Sie griff ihr Saxofon am oberen Bogen und hätte es am liebsten auf den Boden geworfen und wäre weggelaufen.
    »Wozu soll das Ganze überhaupt gut sein?«, sagte er verärgert. »Willst du mich bei deinen Eltern vorführen? Ist es das? Damit sie sich über mich lustig machen können oder mich als schwarzen Mohr verunglimpfen?«
    »Ich wüsste nur zu gern, wo …« Sie hielt inne, um die richtigen Worte zu finden. »Ich wüsste nur zu gerne, was das alles … ich meine, glaubst du, dass wir beide nach dem Krieg …« Sie schluckte, weil sie nicht wusste, wie sie diesen Satz beenden sollte.
    Er seufzte und wandte sich ganz zu ihr um. »Liebling, was du und ich hier treiben, dass gilt in Amerika in dreiunddreißig Bundesstaaten als illegal.«
    »Aber wenn wir verheiratet sind?«
    »Mein Liebling, versteh doch bitte, was ich dir jetzt schon mehrmals erklärt habe. Wir landen im Gefängnis, bevor wir noch vor dem Altar landen. Uncle Sam steht immer an vorderster Front im Kampf gegen den Faschismus – solange es nur gegen die Deutschen geht.«
    »Aber wir sind hier in Australien.«
    »Mir würde es hier genauso ergehen wie diesen ganzen Niggern, von denen deine Mama dir erzählt hat. Wenn sie mit einer weißen Frau im Bett überrascht werden, werden sie mit dem nächsten Schiff nach Hause geschickt.«
    Als ihr die Bedeutung dessen, was er gerade gesagt hatte, klar wurde, zerbrach etwas in ihrem Innern. Sie stürmte aus dem Zimmer und rannte davon.
    Zu Hause ging Pearl sofort auf ihr Zimmer und schloss die Tür ab. Sie warf sich auf ihr Bett und heulte auf dem Bauch liegend Rotz und Wasser in ihr Kissen. Wollte James ihre Beziehung beenden, oder wollte er nur, dass sich alles ein wenig langsamer entwickelte, sozusagen das Tempo drosseln? Es kam ihr alles so hoffnungslos vor, nichts ging voran: ihre gemeinsame Zukunft mit James, ihre Schwierigkeiten, ihr Saxofonspiel zu verbessern, dieser verdammte, nicht enden wollende Krieg.
    Plötzlich hallte das Geräusch von splitterndem Glas durchs Haus. Pearl stand auf und lief eilig nach unten. Gerade kam ihre Mutter Clara die Kellertreppe hoch, und ihr Vater Aubrey raste, über und über mit Sägespänen bedeckt, durch die Hintertür herein. Im Wohnzimmer entdeckten sie Glasscherben auf dem Fußboden, und ein starker Whiskygeruch hing im Raum. Großmutter Lulu saß in ihrem Sessel und betrachtete die ganze Unordnung, als würde sie ein Kunstwerk bewundern. Außerdem stand Martin mit hochrotem Gesicht im Zimmer; er hielt sich an der Rückenlehne eines Stuhls fest und schwankte leicht. In der anderen Hand hielt er eine weitere Flasche, die offenbar noch verschlossen war. Er beugte sich vor, geriet ins Stolpern und taumelte nach hinten. Am meisten überrascht waren alle aber über seine neue Frisur. Die Haare waren extrem kurz rasiert. Er sieht aus wie ein Strafgefangener, dachte Pearl, oder wie der Insasse eines Irrenhauses.
    Martin taumelte auf Clara zu, und dabei glitt die andere Flasche ebenfalls aus seiner Hand und krachte zu Boden.
    Martin wirkte überrascht, dass er die zweite Flasche nicht mehr in seiner Hand hielt, als hätte sie sich selbständig gemacht und irgendwie von selbst zertrümmert.
    »Wollt ihr mal raten?«, fragte er und grinste.
    Keiner wagte es, irgendetwas zu sagen.
    »Nächste Woche bin ich fort!« Martin salutierte und begann mit kindischem Grinsen im Marschtritt durch den Raum zu paradieren. »Ich habe mich freiwillig gemeldet.«
    Zuerst konnte Pearl es gar nicht fassen, wie sie ihn da im Kreis herumtorkeln sah. Martin hasste den Krieg, jede Form von gewalttätiger Auseinandersetzung war ihm zuwider. Vielleicht hatte ihn der Alkohol verwirrt, oder er erlaubte

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