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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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musste sich im Übrigen noch eine überzeugende Geschichte einfallen lassen, wenn sie überhaupt eine Chance auf ein kurzes Treffen mit ihrem Geliebten haben wollte. Ein uniformierter Wachmann streckte seinen Kopf zu dem Pförtnerhäuschen heraus.
    »Suchen Sie jemanden Bestimmtes, junge Dame?« Er trug eine Brille und schob einen Kaugummi im Mund hin und her.
    Sie erwiderte, sie wolle den Gefreiten James Washington sprechen.
    Der Wachsoldat überlegte einen Moment. »Sie meinen Ernest?«
    Pearl stellte ihren Instrumentenkasten ab. »Nein, James. James Washington.«
    Der Mann biss auf seinen Kaugummi. »Ich arbeite hier auch in der Schreibstube, junge Frau. Da muss ich jede Woche das Dienstverzeichnis neu zusammenstellen. Bei uns gibt es keinen James Washington.«
    Pearl blinzelte gegen die Sonne und beobachtete, wie der Zug vom Exerzieren zurück in das Innere des Camps marschierte. Die Soldaten waren so nahe, dass sie jeden Einzelnen erkennen konnte. Die Gesichter der Männer waren mit Schweiß bedeckt.
    Sie erklärte dem Wachsoldaten, dass Washington Mechaniker beim Labor Corps war.
    Der Wachsoldat musterte sie von oben bis unten. »Was hat denn eine hübsche junge Frau wie Sie mit einem von den farbigen Jungs zu schaffen?«
    Pearl griff wieder nach ihrem Instrumentenkasten. »Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?«
    Der Mann zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. »Wir halten sie dort drüben.« Er deutete mit dem Kopf über die Piste der Zufahrt auf eine Ansammlung von Zelten an einem mit dürrem Gestrüpp bewachsenen Hang. »Wir nennen das den Zoo.«
    Sie machte sich auf den Weg dorthin.
    »He«, rief er ihr nach, »sind Sie eins von den Schätzchen von der Truppenbetreuung?«
    Pearl kickte einen Kieselstein in seine Richtung. Er duckte sich weg, und der Stein landete in einem Blumenbeet. »Ich bin Musikerin«, erwiderte sie gereizt.
    Je näher sie den Zelten kam, desto unsicherer und ängstlicher wurde Pearl. Was war, wenn James sie tatsächlich gar nicht mehr sehen wollte? Das spärliche dürre Gras verschwand vollends, in der Umgebung der Zelte war der Boden matschig und von Reifenspuren und Stiefelabdrücken durchfurcht. Der von Westen her wehende Wind trug ihr einen stechenden Abwassergestank zu, um ein Haar wäre ihr das Frühstück im Magen wieder hochgekommen. Sie erkannte, dass das Camp von einem hohen Maschendrahtzaun mit Stacheldraht obenauf umgeben war; das war ihr zuvor gar nicht aufgefallen. Dieser Anblick nahm ihr beinahe allen Mut, denn sie konnte sich weder vorstellen, wie er jemals hier herausgelangen sollte, noch wie sie unbemerkt hineinkommen könnte.
    An der Außenseite des Zaunes zogen sich Gebüsch und lichtes Gehölz entlang, und als sie dort entlangging, boten ihr das Gestrüpp und einige Bäume einen gewissen Sichtschutz. Anders als das jenseits der Zufahrtstraße gelegene Hauptcamp mit seinen ordentlich in Reih und Glied stehenden Unterkünften mit ihren Wellblechdächern, den einfachen Blumenbeeten, dem Badeteich und dem Baseballfeld, die der ganzen Anlage eine gewisse zivile Note verliehen, wirkte das Zeltlager eher wie ein Elendsviertel. Die Einheit war in großen, schlaff durchhängenden Zelten untergebracht. Beim Blick durch einen der geöffneten Zeltvorhänge konnte sie erkennen, dass es innen keinerlei Bettgestelle gab, sondern lediglich Schlafsäcke reihenweise auf dem nackten Boden ausgerollt waren. Die Messe befand sich draußen im Freien unter einem zwischen vier Gummibäumen ausgespannten Zeltdach. Zwei Schwarze waren damit beschäftigt, in einer großen Metalltrommel irgendeine Mahlzeit über einem offenen Feuer zuzubereiten.
    In weiter Entfernung, jenseits des Zeltlagers, konnte Pearl erkennen, wie sich eine große Gruppe von Männern immer wieder vom Boden abstieß; sie machten Liegestütze. Hinter ihnen erhob sich ein mächtiges Gebäude, umgeben von einem Eukalyptushain, das wie eine Lagerhalle aussah. Blätter und Zweige streiften Pearl über das Gesicht, während sie am Zaun entlangschlich. Im Camp sah sie viele dunkelhäutige Soldaten bei der Arbeit: Sie reparierten Lastwagen, wuschen Jeeps, fällten Bäume – aber James war nicht unter ihnen. Dann knickte der Zaun im rechten Winkel ab, und auch Pearl ging in dieser Richtung weiter.
    Nach ungefähr fünf Minuten entdeckte sie einen Mann, dessen Kopf sich fast auf gleicher Höhe mit dem Erdboden befand, als wäre er vom Hals abwärts eingegraben. Beim Näherkommen erkannte sie, dass er in einem Graben

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