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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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Verkehr auf die Straße, kam oft zu spät zur Vorstellung in den Tanzsaal und vernachlässigte ihre Toilette. Im Stillen hoffte sie, dass sie irgendwann einen zweiten Brief von James erhalten würde, in dem er den ersten widerrief und sie aufforderte, an einen verschwiegenen Ort zu kommen, aber ein solches Schreiben traf nie ein.
    Während die Wochen dahingingen, versuchte sie, ihren Schmerz und ihre abgrundtiefe Enttäuschung zu bezwingen und alles mit intensivem Saxofonspiel zu kompensieren. Sich Tag für Tag durch ihre Übungslektionen zu quälen wurde aber mehr und mehr zu einem geisttötenden Pflichtritual wie das Stärken von Petticoats oder das Bohnern des Küchenbodens. Sie konnte sich kaum mehr konzentrieren. Sie hatte keinerlei Appetit mehr. Und auch wenn ihre Muskeln um Mund und Lippen vom vielen Üben bereits schmerzten, wollte sich der geschmeidige Ton, von dem er immer gesprochen hatte, bei ihr einfach nicht einstellen.
    Von Martin erhielt Pearl alle paar Tage einen Brief, den er stets mit »Mein liebstes Schwesterherz« begann. Er beschrieb die violettfarbenen Berge der Great Dividing Range, kleine Landstädtchen, die im letzten Frost des Spätwinters erstarrt waren, und wie er noch weiter durch das Landesinnere auf der Ladefläche eines Viehtransporters befördert worden war. Ihre Unterhaltungsgruppe zur Truppenbetreuung bestand aus einer sechsköpfigen Jazzband, einem Bauchredner, der auch als Transvestit auftrat, einem Baritonsänger, einem komödiantischen Stepptänzer, einem Zauberer und einem Conférencier, der auch ein bisschen Jonglieren konnte. Ihre Mahlzeiten nahmen sie meist in den Speiseräumen der Kasernen ein, die am Weg lagen, und dort übernachteten sie meistens auch in ihren Schlafsäcken im Freien. So gut wie jeden Abend gaben sie ihre Vorstellung auf einer mobilen Bühne, die aus Brettern bestand, welche über große Benzinfässer gelegt wurden. Wenn sie nicht arbeiten oder proben mussten, konnten Martin und die anderen an den Stränden des Indischen Ozeans faulenzen, die Mädels von den weiblichen Hilfskorps anbaggern, frisch gefangene Langusten essen und Bier trinken.
    Martins Briefe wirkten angesichts ihres alles überwältigenden Kummers wie Balsam, aber natürlich immer nur für kurze Zeit. Sie wünschte sich oft, anstelle ihres Bruders zu sein, das Land zu bereisen, auf Lichtungen in der Wildnis aufzutreten und im Mondschein zu schlafen. Stattdessen spulte sie Abend für Abend mehr oder weniger mechanisch ihr Programm im Trocadero ab. Sie mischte sich während der Pausen nicht mehr unter ihre Kolleginnen, sondern packte nach dem letzten Auftritt schnell ihr Saxofon ein und floh mit der nächsten Straßenbahn wieder in ihre eigenen vier Wände. Nach wie vor wartete sie auf einen weiteren Brief von James, und je länger sie darauf wartete, desto magerer wurde sie.
    Ihre Eltern schienen blind zu sein für ihren Zustand und ihre Verzweiflung. Sie führten ständig irgendwelche Debatten über irgendwelche kleinlichen Details rund um diesen Luftschutzraum im Keller: das Abwasser, welche Lebensmittelvorräte, wie viel Trinkwasser man bereithalten sollte. Da es für sie den Anschein hatte, als ob die Japaner schon mit einem Fuß in Australien standen, bestand Clara darauf, dass dort ein Telefon installiert werden sollte, obwohl sie sich das eigentlich gar nicht leisten konnten.
    »Wenn die Bomben fallen«, sagte Aubrey, »wen willst du dann anrufen?«
    Dennoch erschienen eines Vormittags im späten Frühjahr drei Männer in Overalls und verbrachten den Tag damit, oberhalb der Fußleisten in Diele und Wohnzimmer Leitungen zu verlegen. Am nächsten Morgen erwachte Pearl von dem gemütlich klingenden Läuten des Telefons, das durch das ganze Haus schallte. Der Apparat war schwarz wie Ebenholz, das Material schien das gleiche zu sein wie die schwarzen Tasten eines Klaviers, die Ziffern und Buchstaben waren in weißer Farbe unter der Wählscheibe aufgeprägt, und es thronte auf einem eigenen Beistelltisch, unterlegt von einem weißen Spitzendeckchen.
    Zu aller Überraschung erwiesen sich die Vorahnungen ihrer Mutter Clara als richtig. Innerhalb von achtundvierzig Stunden nach der Installierung des Telefons konnte damit eine Tragödie in der Familie verhindert werden.
    Am 24. November 1942 braute sich Pearl einen Cocktail aus verschiedenen Substanzen zusammen, die ihr Vater für seine Tierpräparationen benutzte – Formaldehyd, Ammoniak, Arsen und Borax. Sie trank das Gemisch in sechs,

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