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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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Trocadero war: das letzte Mal, dass sie als zweites Altsaxofon auf der Drehbühne stand, das letzte Mal, dass sie Take the »A« Train als Solo spielen würde, das letzte Mal, dass der Kapellmeister Lionel Bogwald den Preis für das beste Tanzpaar des Abends ankündigen und dazu bunte Luftschlangen von der Decke fallen würden. Dies war das einzige Mal, wo sie ein Missbehagen spürte angesichts all dessen, was sie nun hinter sich lassen würde.
    Der schneidend kalte Winterwind drang durch ihren Mantel, als sie in dem Sträßchen hinter dem Trocadero stand. Es wurde Mitternacht, und Mitternacht ging vorbei. Inzwischen war es fast halb eins, und er war noch immer nicht aufgetaucht. Er hatte ihr von Anfang an gesagt, dass sie sich keine Sorgen machen sollte, falls er spät käme, aber natürlich machte sie sich jetzt Gedanken. Vielleicht war der Laster mit einer Panne liegen geblieben, vielleicht hatte der Feldwebel den Fluchtversuch entdeckt, vielleicht hatte Tyrone einen anderen Auftrag erhalten und konnte darum den Laster nicht fahren. Im Trocadero waren inzwischen alle Lichter ausgegangen. Pearl zog ihren Mantel enger um sich. Inzwischen rannte ihnen auch die Zeit davon, denn wenn er nicht bald auftauchte, würden sie den letzten Zug verpassen und müssten sich womöglich für die Nacht ein Hotel suchen. Das könnte schwierig werden angesichts der allgemeinen Verdunkelung und der sonstigen Restriktionen.
    Noch schlimmer war, dass sie inzwischen dringend auf die Toilette musste; ihre Angst und das dringende Bedürfnis verstärkten sich gegenseitig. Sie ließ sich auf ihrem großen Koffer nieder und schlug die Beine übereinander.
    Es kam ihr so vor, als hätte sie stundenlang gewartet, aber schließlich tauchte an der nächsten Ecke eine geduckte Gestalt auf und kam über das Sträßchen auf sie zu. Die Schritte hallten stakkatoartig durch die Gasse. Sie sprang auf und lief ihm entgegen: In diesem Augenblick würde sie in ihrem Leben eine ganz neue Richtung einschlagen – es war wie eine große Improvisation, sagte sie sich. Sie ging ein enormes Risiko ein.
    Doch in dem Moment, als sie sich ihm in die Arme warf, wusste sie, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Das war nicht sein Geruch, sein Griff, seine Stimme, von der sie umfangen wurde, sondern nur ein Geruch nach nassem Zeitungspapier, eine grobe Berührung am Arm und ein gemurmeltes »Tut mir leid, Pearl!« einer so gut wie unbekannten Stimme.
    »Er kommt nicht«, sagte Tyrone, »aber er hat mich gebeten, Ihnen das hier zu geben.« Sie nahm das Kuvert, das er ihr entgegenstreckte. Es versetzte ihr einen Schlag, sie konnte sich nicht mehr beherrschen und heulte hemmungslos, noch bevor sie den Brief gelesen hatte.
    Liebe Pearl,
    ich verstehe mich nicht besonders gut aufs Schreiben – ich wünschte, ich könnte dies stattdessen auf dem Saxofon spielen. Liebling, dies war die schwierigste Entscheidung, die ich je treffen musste. Ich liebe und bewundere Dich mehr als jeden anderen Menschen, den ich kenne. Daran musst Du immer denken und es mir glauben. Du hast Besseres verdient. Ich möchte nicht, dass Du Dein Leben meinetwegen ruinierst und Deine Familie im Stich lässt und Deine Arbeit aufgibst. Ich möchte vor allem anderen nur das Beste für Dich, aber ein Leben mit mir, egal in welchem Land, wäre niemals das Beste für Dich. Und ich möchte Dir versichern, dass ich noch nie von jemandem so geliebt wurde wie von Dir. Du hast Dinge bei mir verändert, die ich gar nicht in Worte fassen kann. Und ich weiß, dass ich dank Dir niemals wieder so sein werde wie vorher.
    Alles Liebe
    James
    Noch Tage später bekam Pearl Panikattacken, bei denen sie das Gefühl hatte, sie müsste ersticken. Sie hatte Herzrasen und konnte weder schlafen noch essen. Immer wieder und wieder versuchte sie jeden Moment ihres Zusammenseins mit James in der Erinnerung heraufzubeschwören, oder sie suchte in den weniger schönen Momenten rückblickend nach den Gründen, warum er ihre Beziehung abgebrochen hatte. Hatte sie ihn zu sehr gedrängt? Oder vielleicht nicht genug? Hatte er sie wirklich geliebt, oder hatte er nur mit ihr gespielt? Würde er sich mit einer anderen Frau einlassen, sobald er in Queensland angekommen war? Viele Tage lang weinte sie bis zur Erschöpfung bis in den Nachmittag hinein, dann ließ sie sich ein Bad ein und lag ohne Licht im Dunkeln in der Wanne, bis es Zeit war, ins Trocadero zu gehen.
    Mit der Zeit wurde sie immer öfter geistesabwesend, lief mitten im

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