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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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»Und das wäre?«
    »Na ja, von mir aus irgend so was, was Farthing gerade gemacht hat. Tritt doch einfach als Mädel auf.«
    Pearl musste schlucken, und sie wurde ein wenig rot im Gesicht. Der Organist spitzte die Lippen und warf ihr eine Kusshand zu.
    »Ich kann mir vorstellen, dass das bei dir ganz gut funktionieren würde, Willis. Immerhin bist du um einiges hübscher als Farthing.«
    Pearl reagierte völlig entsetzt. »Aber das stimmt einfach nicht, Sir.«
    »Jedenfalls kannst du dich nicht einfach hinstellen und lediglich Saxofon spielen!« Rudolph war inzwischen etwas enerviert. »Die Männer dort draußen haben seit Jahren keine Frau mehr gesehen, haben keine Post bekommen und wissen überhaupt nicht mehr, wie ein Steak schmeckt.«
    »Aber mir fällt nichts ein, als was ich auftreten oder mich verkleiden könnte«, protestierte sie.
    »Dann mach etwas in der Art wie Farthing! Beweg deinen Arsch da rüber in die Lagerhalle und such dir irgendeine Klamotte aus.«
    Sie wollte noch etwas sagen, aber Rudolph kam ihr zuvor. »Tun Sie’s gefälligst, Gefreiter, oder Sie können das Ganze ein für alle Mal vergessen.«
    Pearl stürmte aus dem Verpflegungszelt nach draußen. Sie konnte es nicht fassen, was für ein Pech sie hatte, nachdem sie so weit gekommen war, nachdem sie so viele Menschen an der Nase herumgeführt hatte. Und jetzt sollte sie ausgerechnet eine Frau nachahmen. Dass ihr gerade das viel zu gut geraten und sie sich dadurch verraten könnte – davor fürchtete sie sich.
    Draußen setzte sie sich erst einmal in den Schatten einer von einer Bombe beschädigten Baracke und versuchte sich zu beherrschen und nicht in Tränen auszubrechen. Da erschien auf einmal der dünne Gefreite aus der Schreibstube mit den großen Ohren. Weil ihm die Sonne in die Augen schien, blinzelte er nur.
    »Sind Sie Willis?«, fragte er. Mit einem Stück Papier, das er in der Hand hielt, verscheuchte er eine Fliege.
    Pearl nahm ihren Hut ab und nickte.
    »Das hier ist gerade aus Port Moresby gekommen.« Es handelte sich um ein Telegramm von Sol Leiderman an Martin: »Gefreiter Washington befindet sich in Nadzab.«
    Ihr Herz hüpfte vor Freude, während sie die Worte immer wieder las. Sie konnte es kaum glauben, was sie da schriftlich in Händen hielt. Sie blickte auf, und vor ihr stand Charlie und stemmte die Hände in die Hüften. »Er ist in Nadzab«, flüsterte sie. »Er ist keine fünfzig Kilometer weit weg.«
    Klatschen, Gejohle und anerkennende Pfiffe gellten durch das Verpflegungszelt, als sie auf Rudolph zuging, der noch immer auf seinem Stuhl saß und sich auf einem Block Notizen machte. Sie trug eine lange blonde Perücke, und Charlie hatte ihr ein völlig übertriebenes Make-up aufgetragen: scharlachrote Lippen, die ihren Mund weit größer erscheinen ließen, Eyeliner und einen dicken Flecken Rouge auf jeder Wange. Sie trug ein bodenlanges, eng anliegendes Abendkleid aus hauchdünner roter Kunstseide, das ihren Körper bei jeder Bewegung zur Geltung brachte. Den überdimensionalen BH darunter hatten sie ausgestopft, sodass ihre riesigen Brüste wie zwei Kanonenkugeln vor ihr her wogten. Dazu trug sie lange schwarze Handschuhe, die bis zu den Oberarmen reichten. Andererseits hatte sie ihre Armeestiefel anbehalten, weshalb sie mit schwerem Tritt einherging; die Arme ließ sie wie bei einer Militärparade hin und her schwingen und grinste bei dem Geheul. Sie zog einen Schmollmund, blähte die Nasenflügel auf und hielt den Blick zu Boden gerichtet. Die versammelte Mannschaft bog sich vor Lachen. Sie blieb abrupt vor Rudolph stehen und hob eine Hand zum Salut. Dann bemerkte sie, dass ihre Brüste verrutscht waren, und brachte sie mit übertriebener Gestik wieder in die richtige Lage.
    »So ist es schon besser, Gefreiter«, sagte Rudolph. »Und jetzt sing uns was vor.«
    So weit wollte sie eigentlich nicht gehen, daher zögerte sie. Falls sie ein zu romantisches Lied wählte, bestand die Gefahr, dass sie tatsächlich wie eine Frau klang. Wenn es dennoch nicht ein bisschen feminin klang, dann wirkte die ganze Nummer nicht überzeugend, und sie war infolgedessen gezwungen, hier in Lae zurückzubleiben. Der Trick bestand darin, dass sie wie ein Mann klingen musste, der eine Frau nachahmt; und das war nicht dasselbe wie eine Frau, die als Mann durchgehen will.
    »Los jetzt, Willis«, forderte Rudolph sie auf. »Sing endlich mal was.«
    Sie räusperte sich und atmete tief ein. Plötzlich sah sie ihren Vater vor sich, wie er

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