Bis auf die Haut
versprochen.
Du spürst die Hitze in deinen Wangen, versuchst sie zu unterdrücken, siehst, dass auch seine Wangen heiß sind. Du erkennst seine Schüchternheit, denn du bist selbst immer schüchtern gewesen, vielleicht versteht ihr euch deshalb so gut. Schüchternheit lässt sich an Männern selten beobachten, meist verbergen sie sie unter einer Maske von Arroganz, Schroffheit, Unnahbarkeit oder anderem. Ihr beide seid einander zu ähnlich, dieser Gabriel Bonilla und du. Du erkennst es daran, dass auch er in dieser Welt nicht so ganz heimisch ist, nicht so ganz mithalten kann. Ein Schauspieler, der herumjobbt und sich damit zufrieden gibt. Er lächelt und blickt dir in die Augen, du verlierst den Faden, alle deine Fragen sind plötzlich wie weggewischt. Er lenkt das Gespräch auf dich zurück und fragt dich aus, als wolle er den Kern deiner Existenz erfassen, fragt nach deiner Ehe, deiner Wohnung, deiner Familie, deinem Job, deinen Kollegen, deinem Chef. Du antwortest offen und unbefangen, die Worte schlüpfen dir glatt, mit einer gefährlichen Bereitschaft von der Zunge, eine innere Leichtigkeit singt in dir.
Doch du sagst dir, dass du das alles nie verderben wirst, indem du mit ihm schläfst, du wirst eure Verbindung dadurch nicht beflecken. Du willst nicht diese plötzliche Verlegenheit, den Mundgeruch am Morgen oder nicht gespülte Toiletten oder Raucheratem oder Fürze. Du hast ein Jahr gebraucht, bis du furzen konntest, wenn Cole im Nebenzimmer war, und zwei, um im selben Raum zu furzen. Manchmal beißt du dir so heftig in die Innenseite deiner Wangen, dass es blutet, und dieses hasenartige Mümmeln ist eine deiner intimen Eigenheiten, die niemand außer Cole mitbekommt. Du schneidest dir vor ihm die Zehennägel, trägst verschlissene Unterwäsche, entleerst deinen Darm und pinkelst. Du öffnest dich deinem Mann wie niemandem sonst, vielleicht übertreibst du es aber auch: Der Zauber ist verloren gegangen.
Cole.
Auch mit ihm hast du einmal so geredet, als ihr beide frisch verliebt wart. Du willst nicht, dass Gabriel Bonilla jemals von dir enttäuscht ist, dass er wegdriftet, bevor überhaupt etwas begonnen hat. Also wirst du die Situation genau so bewahren, wie sie im Moment ist, wie ein geheimes Dokument, das du in die Tiefen deiner Brieftasche vergräbst, immer verborgen, immer nah, eine Schatzkarte, die du nach Belieben zum Träumen herausholen kannst, eine Safekombination, der Fluchtplan einer Gefangenen.
Gabriel nimmt einen Füller heraus, der sich mit einem so angenehmen Klick öffnet wie ein Lippenstift. Er kritzelt eine Nummer auf die Rückseite der Rechnung. Schon lange hat dir kein Mann mehr seine Nummer gegeben, was bedeutet das, was kommt als Nächstes, spielt er mit dir, ist das alles nur ein Spiel? Du bist wie in einem Panzer erstarrt und als sich eure Finger streifen, ziehst du deinen viel zu rasch zurück.
Er
weiß
, dass du verheiratet bist. Er sagt, er würde Cole gern kennen lernen. Das wirft dich vollends um.
36. Lektion Das Glück wie auch die Tugend liegen in dem Thätigseyn
In der heimwärts rauschenden U-Bahn fingerst du so nachdenklich an dem Zettel herum wie ein Archäologe an einer Scherbe. Fügungen wie diese gibt es selten, so etwas passiert vielleicht ein-, zweimal im Leben. Als du jung warst, wärst du sofort darauf angesprungen, hättest davon geträumt, dass dies der Beginn einer großen, verzehrenden Liebe wäre. Aber jetzt? Ein hochgewachsener, schüchterner, arbeitsloser Schauspieler, der etwa so alt ist wie du und dir doch so unfertig vorkommt, als hätte sein Leben noch nicht richtig begonnen. Ein Träumer, der sich ziellos treiben lässt, am Telefon hängt und seinem Agenten ausgeliefert ist, immer einem fremden Willen unterworfen.
Das krasse Gegenteil von Cole.
Seine Tage gehören ihm ganz allein.
Du lächelst. Hältst den Zettel an die Lippen, als wolltest du einen segnenden Kuss darauf drücken. Du wirst morgen anrufen, nur mal hallo sagen, ganz freundschaftlich, nichts weiter. Du fühlst dich, als wärst du tollkühn kopfüber ins flache Ende eines Pools gesprungen, aber alles ist gut gegangen, du hast dir das Rückgrat nicht gebrochen und pflügst lächelnd durchs Wasser, strampelst dich aus der Gefahrenzone, du hast überlebt. Mit einem Mal hat sich alles verändert, freudige Erwartung hüllt dich ein wie ein Umhang, beim Gedanken an ihn stehst du wie unter Strom.
37. Lektion Das häusliche Glück des Mannes hänget fast gänzlich von seinem Weibe ab
Wo
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