Bis auf die Haut
warst du den ganzen Abend?
Im Kino.
Was hast du dir angesehen?
Irgendwas Iranisches, ganz und gar nicht dein Fall.
Hm.
Cole sitzt auf der Küchenbank und löffelt einen Teller Heinz-Tomatensuppe, er hat einen Freizeitpulli über sein Hemd gezogen. Der Kühlschrank ist nun ein Grab für Dinge mit seltsamen Gerüchen und Wucherungen: vor sich hin schimmelnder Käse, Brot mit bläulichen Pünktchen, Tomatenmarkgläser mit einem weichen, hellen Pelzbelag. Keiner von euch beiden hat sich in letzter Zeit groß um den Haushalt gekümmert, der Ofen wird als Lager für Töpfe und Pfannen zweckentfremdet, seit dem letzten Sonntagsbraten ist viel Zeit vergangen. Euer kleines Zuhause war einmal so warm und gemütlich. Theo kam oft unangemeldet vorbei, als hätte sie sich bei euch aufwärmen wollen.
Cole und du gebt euch keine Mühe mehr. Davor hast du dich einst gefürchtet, dass im Ehealltag einmal die Angebote versiegen könnten, das Badewasser einzulassen, Tee aufzubrühen oder den Abwasch zu übernehmen. Tatsächlich lässt sich damit leben. Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.
Emotionale wie körperliche Gleichgültigkeit. Ihr habt euch nicht mehr geliebt, seit ihr das alle zwei Tage mit frischen Rosen geschmückte Hotelzimmer verlassen habt. Doch heute Abend küsst du Cole auf den Scheitel und lässt deine Lippen auf seinen Haaren ruhen, dabei regt sich etwas in deinen Lenden.
Ich geh ins Bett, sagst du.
Noch einmal hm, in die Simpsons und die Suppe vertieft.
Er scheint deine Geste nicht bemerkt zu haben oder will sich nicht darauf einlassen: Die Simpsons gehen noch zehn Minuten.
Du lächelst. Es macht dir nichts aus. Denn du bist in die Sonne zurückgekehrt, spürst sie warm auf deinem Rücken. Du hast einen neuen Freund in deinem Leben, mit dem du spielen und wieder jung sein kannst, der dich aufwecken wird.
38. Lektion Ein kaltes Bad bringt Schlaflosen den Schlaf
Cole bleibt bis spät in die Nacht auf, was weiter nichts Ungewöhnliches ist, er geht oft später ins Bett als du. Wahrscheinlich sitzt er am Laptop und surft durch Pornoseiten. Es war ihm peinlich, als du ihn vor ein paar Jahren zum ersten Mal dabei ertappt hast, er klappte ganz schnell den Deckel herunter. Jetzt dreht er nur noch den Computer zur Seite. Rudimentäre Höflichkeit, die nicht genügt.
Cole hat dir ganz am Anfang einmal erzählt, dass er lange aufbleibt, weil er es mag, wenn das Bett schön angewärmt ist, du bist meine Wärmflasche, hat er gesagt, und du hast gekichert und ihn hinterm Ohr geleckt. Früher dachtest du, dein Mann wäre innerlich nicht so aufgewühlt wie du, sondern ausgeglichen – rein, offen und unkompliziert. Jetzt ist dir bewusst geworden, dass auch er ein geheimes Leben hat, von dem du nichts weißt und nie etwas wissen wirst, und dass niemand das geheime Leben eines anderen kennt.
Du hast jetzt ein klareres Bild von Cole. Ein Mann, der gewandt durchs Erwachsenenleben segelt, mit der heiteren Distanziertheit eines Menschen, der eine Abneigung gegen allzu persönliche Fragen hat. Er versteckt sich hinter der Maske vollkommener Gelassenheit und erweckt damit den Eindruck, dass er seine Energie stets für jemand anderen aufbewahrt. Er scheint sich in seinem Leben eingerichtet zu haben, vielleicht ist er glücklich, vielleicht auch nicht. Niemand fragt wirklich danach. Er legt Wert darauf, die Welt immer ein wenig auf Abstand zu halten und nicht zu viel von sich preiszugeben.
Du dagegen willst jetzt ganz dicht heran an die Dinge. Du brauchst den Zufluchthafen Ehe nicht mehr, diese kleine Blase der Zweisamkeit, die einmal so behaglich war.
Du hast Cole anfangs öfter an seinem Arbeitsplatz besucht, hast auf einem hohen Hocker zwischen den Staffeleien, Farbpaletten und grellen Lampen mit dem bläulich weißen Licht gesessen, zwischen Spiritusflaschen und Latexhandschuhen. In dem Raum, der nach Ölfarben und Firnis und Terpentin roch, herrschte ein Durcheinander wie bei einem Flickschuster. Hier, an diesem zurückgezogenen Ort, kam Cole unter seiner Maske hervor und zeigte sich von einer spektakulären Seite, die du an ihm liebtest. Der Kittel, den er über sein gestärktes Hemd zog, war immer mit Gips und Farbe bekleckert.
Er arbeitete damals an einem Bild aus dem 19 . Jahrhundert, ein Porträt einer bekannten Schönheit zu ihrer Zeit. Die Leinwand lag flach auf einem Wärmetisch ausgebreitet, um die Farben aufzuweichen, und während Cole sich darüberbeugte, erzählte er dir, was
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