Bis auf die Haut
hast, eine ganze Woche lang. Du hast vor, in den Nächten wie ein Murmeltier zu schlafen und dich tagsüber zu entspannen und wieder zu einem einfacheren Leben zurückzufinden. Der Besuch fängt gut an: In den paar Läden hier strahlen die Einheimischen, ein stämmiger Menschenschlag, wenn sie deinen Bauch sehen. Na, das ist doch was, sagt ihr Lächeln, als ob sich im Leben alles nur darum drehte. Du besuchst mit Hut und Wanderschuhen die Ausgrabungsstätte, und der Ausgrabungsleiter besteht darauf, dir seinen Klappstuhl zu überlassen. Aber bald schleppst du dich nur noch mühsam durch die staubigen Straßen und fühlst dich angeschlagen, dir ist heiß und du reibst dir die alte Falte zwischen den Augenbrauen. Das Haus deiner Mutter scheint die Wärme aufzusaugen und zu speichern: Die Zahnpasta ist warm und dein Deo auch, wenn du es auf die Haut rollst. Du hast dich immer nach Hitze gesehnt, zum ersten Mal in deinem Leben macht sie dir zu schaffen. Das Baby verändert dich sehr.
Aber nicht genug.
Denn sogar hier verfolgt dich Gabriel, bis ins Schwimmbad des Städtchens. Hier schwimmst du täglich deine Bahnen, stößt dich ehrgeizig ab und ziehst mit den Armen durch, so weit du kannst; du spürst die Anspannung deiner Muskeln, während du dich von ihm freizustrampeln versuchst. Aber jeden Morgen fährst du unruhig aus dem Schlaf hoch und siehst einem Tag entgegen, der für dich ist wie eine offene Wunde, in deinem Bauch rumort eine unerklärliche Angst. Du erhebst dich mit müden Knochen vom Gästebett deiner Mutter, als hättest du die ganze Nacht mit der zu weichen Matratze gekämpft, hättest dich verkrampft, um ihr Widerstand zu leisten. Und nach sechs Tagen lässt dich deine Mutter wissen, dass sie viel zu gern allein ist. Es läuft immer nach demselben Muster ab, eine plötzliche Anspannung in ihrer Stimme, dann explodiert ihr beide und du selbst wirst zum wilden Tier. Diesmal ist ein Name für dein Kind der Auslöser.
Du kannst ihn unmöglich nach deinem Vater nennen, sagt sie, das kann doch wohl nicht deine Absicht sein, ständig die Erinnerung an einen solchen Versager wach zu halten.
Dass nach all den Jahren noch so viel aufgestaute Bitterkeit in ihr ist, liegt wohl daran, dass sich deine Eltern einmal mit verzehrender Leidenschaft geliebt haben, was du allerdings nur vermuten kannst. Dein Vater ist oft der Anlass für einen Streit zwischen euch, du hast es so satt, immer in dieser Sackgasse zu enden, das geht nun schon seit fünfundzwanzig Jahren so. Deine Mutter ist immer noch eifersüchtig auf die Liebe, die du für ihn empfindest, ihrer Ansicht nach eine blinde, törichte Liebe; sie hat ein Leben lang versucht, dich von seinen Fehlern zu überzeugen.
Er war immer betrunken, zu nichts nutze, ein jämmerlicher Kerl, hat sein Leben lang nichts zustande gebracht und dich nicht geliebt, weil er mir nie genug Geld für dich gegeben und es mir so schwer gemacht hat
, immer dieselben Anklagen, seit du zehn warst, die lediglich eines bewirkten: dass du dich von ihr abgewendet hast.
Warum kommst du immer mit der alten Leier, fragst du jetzt, ich hab’s so
satt
. Und dann, mit erzwungener Ruhe: Wenn du nicht aufpasst, wirst du gar niemanden mehr haben in deinem Leben.
Du bist genauso wie er, geht sie auf dich los. Ein hoffnungsloses,
hoffnungsloses
Pack seid ihr, alle beide. Immer nur
Papi, Papi, Papi
, und sie ahmt deine anbetende Kinderstimme nach. Nie sagst du
mir
, dass du mich liebst, nie dankst du mir, nie bist du der Meinung, dass ich vielleicht nach Nutella das Beste in deinem Leben war. Du hast ja keine
Ahnung
, wie es in der harten Wirklichkeit zugeht.
Die Worte deiner Mutter prallen inzwischen an dir ab, es sind immer dieselben Sätze, die schon vor Jahren ihren Stachel verloren haben. Natürlich hast du ihr schon oft gesagt, dass du sie liebst, aber sie wirkte nie überzeugt.
Du flehst sie an, doch bitte aufzuhören, aber sie hört dir nicht zu. Du weißt nicht, warum du dir eingebildet hast, deine Schwangerschaft würde in jedem Bereich deines Lebens die große, heilende Wende auslösen. Du befürchtest, das Verhältnis zu deiner Mutter wird so bleiben, bis eine von euch stirbt, dieses Gefühl, dass ihr gegeneinander kämpft, keine Verbündeten seid. Du brauchst Abstand vom gehässigen Ton ihrer Stimme, von ihrem Finger, der in der Luft herumstochert, von der Wut in ihrem Gesicht. Du stehst auf und gehst hinaus, vorbei an den Schutthaufen, die sich neben der Ausgrabungsstätte türmen, an
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