Bis auf die Haut
Anrufbeantworter. Schweigen, du weißt, dass er es ist. Und dann sagt er deinen Namen, weiter nichts. Genau dann, als er langsam zur Erinnerung verblasste, als du dabei warst, zu deinem Leben zurückzufinden.
Wieder klingelt das Telefon und du reißt den Hörer hoch.
Hey, sagt er.
Dir steigt ein dicker Kloß in den Hals.
Wie geht’s?, fragt er.
Mir geht’s gut. Bestens.
Ich komm gerade von einer Reise zurück, sagt er, und hab mich gefragt, wie’s dir geht, und er lacht. Was willst du von mir, fragst du, was willst du, und Gabriel sagt dir, dass du dich verwandelt hast, dass du wie Dornröschen warst, das aufwacht, du wärest aufgeblüht, hättest in voller Blüte gestanden und es wäre phantastisch gewesen, das mit anzusehen. Ihr schweigt, dann machst du missbilligend: na, na, und er sagt, na schön, ich mach Schluss, pass auf dich auf, und es klickt in der Leitung.
Du läufst in der Wohnung hin und her und reibst dir mit beiden Händen über den Bauch, reibst und reibst, als wolltest du etwas ausradieren.
104. Lektion Schreien, sich hin und her werfen und eigensinniges Trotzen sind eines Weibes unwürdig
Bis zu zwölfmal am Tag übergibst du dich, vor allem, wenn du müde bist, und du fragst, ob das wirklich normal ist: Bei manchen Frauen ja, meint dein Gynäkologe.
Cole hält dir die Haare aus dem Gesicht, während du über der Kloschüssel kauerst, und spült den Eimer neben dem Bett aus und wischt dir den Mund sauber und legt seine Lippen auf deinen Bauch und ermahnt das Baby, Mami nicht krank zu machen, und danach hältst du seinen Kopf lange zwischen deinen Händen und küsst ihn sanft auf den Scheitel, denn du hast ihn noch nie so sehr geschätzt.
Du bist neugierig, wie das Baby aussehen wird, ob es eine Mischung von euch beiden sein wird. Ob seine beiden mittleren Zehen miteinander verwachsen sind wie bei dir. Du wünschst ihm deine Linkshändigkeit, das Lächeln deiner Mutter, Coles Adleraugen und seine innere Ruhe.
Doch du übergibst dich weiter, als wolltest du die Schuld loswerden.
105. Lektion Die junge Hausfrau zählet zu den wichtigsten
Mitgliedern der Gemeinschaft; von ihrer Gesundtheit und ihrem Scharfsinn hängen das Wohlbefinden ihres Gatten,
ihrer Kinder und der Dienerschaft ab
Das Baby verdirbt dir die Freude an deinem Lieblings-Radiosender, du kannst die stampfenden Dancefloor-Bässe nicht mehr ertragen; stattdessen zieht es dich zu Bach hin. Dein Baby verlangsamt dich, versucht, dich zu einem gesetzten Leben zu bringen, segelt dich in stille Gewässer. Was wird aus dir als Mutter werden? Wirst du das Feld der Gefechte verlassen und zur Zuschauerin werden, wirst du vom Widerschein fremden Glücks leben? Das ist doch bei alten Paaren so und bei Müttern. Du hast sie immer insgeheim verachtet, diese im Verschwinden begriffenen Frauen, schwach, verblichen, ohne Eigenleben, du dachtest immer, sie hätten aufgegeben. Nun empfindest du Verachtung für das, was du gewesen bist: die Karrierefrau, die sich mit Entschlossenheit selbst verwirklichte, die auf junge Mütter immer aus solcher Höhe herabgesehen hat.
Und nachts seid ihr nun zu dritt, du drückst deinen Bauch gegen Coles Kreuz und dein Baby schiebt sich zwischen euch und euren Atem. Cole macht sich Sorgen um das Kind, wenn dein Bauch von Gelächter erschüttert wird, wie es oft geschieht, wenn du schwere Einkaufstaschen die Treppe hochschleppst und schmutzige Wäsche vom Boden aufhebst.
Vielleicht könnten wir uns ja zu ein bisschen mehr Mithilfe durchringen, neckst du ihn und bewirfst ihn mit seinen schmutzigen Unterhosen.
Und in gewissem Maß ringt er sich tatsächlich dazu durch. Geht öfter einkaufen und kocht öfter, überrascht dich mit Gerichten, von denen du gar nicht wusstest, dass er sie zubereiten kann.
Ich war auch lange Single, weißt du, erklärt er nach einer erstaunlich leckeren chinesischen Gemüsepfanne, die er noch nie für dich gekocht hat.
Du klatschst vergnügt in die Hände. Von heute an kochst
du
, mein Männe, lachst du.
Langsam, langsam – nur so lange, bis das Baby kommt.
Eure Liebe heilt, der Bruch zwischen euch wächst wieder zusammen wie ein gebrochener Knochen.
Aber dann: frühe Morgenstunden, allein im Wohnzimmer.
Eine Stadtwohnung, karg und sauber wie die eines Mönchs. Nackt auf dem Rücken, auf Gabriels Teppich. Dein Kopf stößt gegen die Wand. Deine Finger wühlen in seinen Haaren, als du ihn tiefer in dich hineindrückst und dich unter ihm zu bewegen beginnst, deine Hüften
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