Bis auf die Haut
nur in meiner Ehe
, und dann schlägst du es zu und rennst zum Telefon und deine Finger stolpern über die Zahlen, die dir immer noch viel zu oft im Kopf herumschwirren, und fast sofort ist er dran. Als du sein vertrautes »Hallo!« wieder hörst, ist dir, als würdest du zu Boden gezerrt.
Ich bin’s, sagst du.
Hey, begrüßt er dich, und die Leichtigkeit dieses einen Worts verrät dir alles, was du wissen willst. Seine Stimme klingt unversehrt. Er hat es überwunden, ist zur Tagesordnung übergegangen. Dir sinkt das Herz.
Ich muss dich sehen, sagst du, möchtest ihn ebenfalls zu Boden ziehen.
Er lacht: Ich würde dich auch gern sehen, aber ich fliege morgen ganz früh nach Spanien.
Oh.
Das Drehbuch ist so gut wie fertig. Montagabend schau ich mir einen Kampf an. Die letzten Vor-Ort-Recherchen.
Ah, gut: Du weißt kaum, was du sagst, du willst ihn nur nicht loslassen, wenigstens am Telefon, willst nicht, dass er sich dir entzieht, willst diese Nacht nicht allein verbringen.
Wo findet er denn statt, der Kampf?
In Chiclana, in der Nähe von Sevilla, wo mein Vater das erste Mal in der Arena stand.
Ah. Toll.
Vielleicht demnächst?
Ja, natürlich.
Deine Stimme versiegt.
Er meint jetzt also, er bräuchte sich nicht mehr anzustrengen.
Und du begehrst ihn mehr als je zuvor.
117. Lektion Wie beschleunigen die Menschen ihren Todt?
Etwa eine Stunde von Sevilla.
Die letzte Schwangerschaftswoche, in der du fliegen darfst.
Du bist nicht sicher, warum du hergekommen bist, aber es ist herrlich, etwas so Törichtes und Impulsives und Rücksichtsloses und Unbesonnenes zu tun, die ständige Selbstzensur einzustellen. Du weißt, dass es verkehrt ist, ihn in deine Fänge zurückzuholen, aber dieses Wissen genügt nicht, um dich aufzuhalten.
Welcher Abgrund des Verlangens tut sich in dir auf? Und das kurz vor der Rückkehr deines Mannes und der Geburt deines Kindes.
Du kennst die Antwort, bist aber nicht sicher, ob du dir deine Wünsche erfüllen kannst: Einmal noch willst du deine pure Selbstsucht ausleben dürfen, bevor du dich den Bedürfnissen aller anderen unterordnest.
Die Arena ist lächerlich klein, staubig, provisorisch, mitten im Lärm und den grellen Lichtern eines Jahrmarkts errichtet. Du hattest etwas anderes erwartet. Auf der einen Seite das Dröhnen und schrille Pfeifen einer Budenstraße, auf der anderen Seite eine Achterbahn, die mit ihrer Ladung kreischender Gesichter vorbeirattert. Du gräbst mit dem Daumennagel eine Rille in deine Eintrittskarte. Es ist heiß, die Luft trocken wie in einem Backofen. Um halb acht Uhr abends sticht die Sonne immer noch herunter. Dein Baby wälzt sich von einer Seite auf die andere, du hoffst, es geht ihm gut. In der Arena herrscht eine so rauflustige, hässliche Stimmung wie bei einem Hahnenkampf. Um dich herum auf den rohen Holzbänken sitzen Grüppchen von Männern mittleren Alters, die sich mit ihren Kumpels einen schönen Abend machen. Du schaust sie verstohlen an, suchst in jeder unwahrscheinlichen Gestalt nach Gabriel. Du bist rot im Gesicht, hochschwanger, sofort als Ausländerin erkennbar; du weißt nicht, was da auf dich zukommt. Du passt nicht hierher.
Aber du willst ihn, so einfach ist das. Und dieses Verlangen, das in deinem Blut singt und schreit, ist dir eben alles wert.
Ein mickriges Blasorchester auf den Bänken neben dir setzt zu einer Fanfare an. Du rutschst zur Bankkante vor wie ein neugieriges Kind, Gabriel hat dir so viel erzählt. Ein Stier trottet widerwillig in die Arena. Du hattest dir die Kampfstiere immer als riesige, glänzend schwarze Tiere vorgestellt, die mit gesenktem Kopf auf ihren Feind zudonnern wie eine Lokomotive, doch dieser Stier ist klein, braun, mager, wirkt verloren. Du lässt den Blick über die Bankstufen wandern.
Vier junge Männer flitzen in der Arena herum, reizen den Stier und rennen dann um ihr Leben auf eine der vier Holzwände zu, um sich dahinter zu verschanzen. Niemand scheint unter Kontrolle zu haben, was da abläuft, weder die Männer noch der Stier, es ist wie eine Posse, eine Pantomime, so hast du es dir nicht vorgestellt.
Dein Blick bleibt auf einer Gestalt haften, die Gabriel sein könnte, diese eckigen Schultern. Er ist auf der anderen Seite der Arena. Hat sich verspätet, ist mit einer ganzen Gruppe von Männern gekommen, die wie Verwandte aussehen. Dein Herz hämmert, das Blut rauscht dir im Schädel, du spürst, wie es pumpt.
Nur noch ein einziges Mal, eine letzte Lektion vor Coles Rückkehr, mehr
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