Bis auf die Haut
als der Taxifahrer zum zweiten Mal klingelt. Das tut keinem weh.
113. Lektion Banknoten sind papiernes Geld
Kein Wort von Cole.
Keine Anrufe von Gabriel nach diesem Anruf, der in deinem Leben die Bombe hat hochgehen lassen.
Aber die Kraft eines neuen Lebens in dir, das mit den Männern konkurriert. Dein Bauch ist nun etwas Öffentliches, oft strecken sich Hände danach aus, und mitten im größten Durcheinander verliebst du dich in einen Körper, der nicht dir gehört. Es ist schön und furchtbar zugleich, was dieses Kind mit dir anstellt, der Schönheit haftet etwas Gewaltsames an, sie ist faszinierend, erotisch, obszön.
Wie kann sich die Haut so weit dehnen? Wird sie sich je wieder zusammenziehen oder schlaff und schrumpelig an dir herunterhängen wie ein Stoffbeutel?
Du hast deinen Ehering nicht abgestreift, willst das Leben nicht noch komplizierter machen, das wäre auch zu endgültig, zu abrupt und würde jede Hoffnung ausschließen, dass sich alles wieder einrenken könnte. Wenigstens kommt das Geld immer noch auf dein Konto, aber deine Mutter hat Recht, du musst etwas finden, was du leidenschaftlich gern tust, um dein Leben auszufüllen.
Du musst etwas aus diesem Buch machen, wenn irgend möglich. Wahrscheinlich deine letzte Chance, bevor die Mutterschaft über dir zusammenschlägt und dein eigenes Leben in den Hintergrund tritt, ein anderes sich nach vorn schiebt. Und der Geldfluss womöglich versiegt. Die Aufgabe der finanziellen Unabhängigkeit war die größte aller Veränderungen in deinem Leben. Es bereitet dir jetzt großes Unbehagen, jemand anderem so stark verpflichtet zu sein; das könnte dein Selbstvertrauen sehr untergraben.
Aber da ist immer noch Gabriel.
Hinter deinem neu gefundenen Lebenszweck hörst du ihn unablässig flüstern. Du bist im siebten Monat schwanger und weißt, dass du ihn nicht begehren und in dein Leben zurückzerren solltest. Du würdest ihn so gern anrufen. Die Intensität jener Nachmittage in seiner Wohnung ist mit der Zeit etwas verblasst, aber nicht genug. Denn seine Lebendigkeit wird dir oft wieder gegenwärtig, er kehrt immer wieder zu dir zurück wie Wellen, die ans Ufer schlagen.
114. Lektion Der große Werth frischer Luft
Ein Frauen-Verwöhn-Wochenende auf dem Land, in einem Wellness-Hotel in den Cotswolds. Martha sitzt am Steuer und braust die schmalen Straßen entlang, denn sie möchte gern ankommen, bevor es ganz dunkel wird. Durch den blutroten Himmel ziehen sich breite Bänder aus leuchtendem Gold; in London ist der Himmel nie so. Vielleicht schaust du aber auch nur nicht hin.
Was macht die Clique?, fragst du.
Ach, alles bestens. Julian hat sein Manuskript fast fertig, wie immer lange vor dem Termin. Tim musste sein Buch eine Weile unterbrechen, weil sein Vorschuss zu Ende ging, er arbeitet wieder auf der Baustelle. Natalie, die Arme, sitzt gerade an ihrer siebten Fassung; sie macht jetzt diese schreckliche Phase durch, wo man glaubt, es würde nie was draus.
Was ist mit Gabriel?, fragst du und versuchst, die Lebhaftigkeit deiner Stimme ins Beiläufige abzudämpfen.
Hab länger nichts von ihm gehört, antwortet sie, aber der kommt schon wieder. Er beherrscht die Kunst, zu verschwinden und ganz unerwartet wieder aufzutauchen, das weißt du ja selber. Ich glaube, er ist in Spanien, keine Ahnung, warum.
Du stemmst die nackten Füße gegen das Armaturenbrett, so dass dein Baby in einer Wiege zwischen Rücken und Knien liegt, und denkst an die Zeiten deines Lebens, in denen du dich am freiesten gefühlt hast, stets Zeiten des Alleinseins, beschwingte Zeiten der Lebendigkeit und Bewusstheit. Kannst du jemals wieder so leben? Martha versetzt dem Lenkrad einen Puff und sagt, natürlich, du nimmst dein Baby einfach mit; die Frauen machen das immer so.
Schau doch deine Mutter an, strawanzte in der ganzen Welt herum, ihr kleines Bündel auf den Bauch geschnallt.
Ja, du hast wohl Recht.
Aber du bist nicht deine Mutter. Du spürst, wie du gerade vor Anker gehst. Das kannst du Martha nicht erklären, einer Frau, die sich ganz klar gegen Kinder entschieden hat, die meint, sie könne schon ihr eigenes Leben nicht regeln, geschweige denn das eines anderen Menschen. In ein paar Monaten wirst du dein Leben nie wieder so steuern können, wie du es gewohnt warst, du wirst dich dem Willen eines anderen Wesens beugen müssen. Ein Kind zerrt dich in ein Leben hinein, an dem du in der Elternrolle teilzunehmen hast.
Der Himmel wird dunkler, die Farben sind schon fast
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