Bis aufs Blut - Thriller
sie besucht und was für Fächer sie auf dem College belegt hatte. Nach der Lektüre von Nathans Akte, wusste ich eigentlich nur, dass Nathan sein Vorname war.
Mit Nachnamen hieß er Kline.
Das konnte kein Zufall sein. Ich steckte die Akte an ihren Platz zurück und schloss den Schrank. Ich sah in ein paar anderen Schubladen nach, aber es kam nicht viel dabei heraus. Über die Finanzen der Sekte war jedenfalls, außer den Abrechnungen der täglichen Ausgaben, nichts zu finden. Finanzieren konnte Provost den Betrieb eigentlich nur, wenn er in seinem Haus auf Queen Anne Hill einen Berg von Dollarnoten hortete. Ich fand auch keine Hinweise auf eine Mordverschwörung; andererseits war auch nicht zu erwarten gewesen, dass man derlei Unterlagen dort aufbewahrte. Nathans Haus am Hood Canal kam da als Versteck schon weit mehr in Betracht, und ich konnte es plötzlich kaum erwarten, zurückzufahren und mich dort gründlicher umzuschauen.
Doch ich hatte zuvor noch anderes zu tun. An das vordere Büro schloss sich ein enger Korridor an, von dem mehrere Türen abgingen. Vermutlich weitere Büros. Ich versuchte es an einer Tür, öffnete sie und warf einen Blick hinein. Ja, wenn an den vorderen Schreibtischen irgendwelche Untergebenen arbeiteten, gehörten diese zwei Büros höchstwahrscheinlich Nathan und Alisha. Eines davon konnte sogar Provosts Arbeitszimmer sein. In keinem war etwas zu sehen, was Rückschlüsse auf die Identität des jeweiligen Besitzers gestattet hätte, und die Schreibtischschubladen und Aktenschränke waren abgeschlossen. Das sprach nicht gerade für großes Vertrauen. Und das wiederum verriet mir einiges über die Disciples. Oberflächlich betrachtet völlig harmlos und offen - siehe die nicht abgeschlossene Haustür -, dann stieß man aber auf Geheimnisse, die hinter Schloss und Riegel gehalten werden mussten. Ich entschied mich dagegen, eines der Schlösser aufzubrechen. Die Jünger sollten nicht erfahren, wie dicht ich ihnen auf den Fersen war.
Wieder im Flur, bemerkte ich zum ersten Mal eine Treppe. Sie lag am hinteren Ende des Flurs und führte hinauf ins Dachgeschoss. An dieses Dachgeschoss hatte ich gar nicht gedacht. Es wies keine Fenster auf, weshalb ich auch nicht angenommen hatte, dass es irgendwie benutzt werde. Dennoch gab es eine Treppe hinauf.
Ich war drei Stufen emporgestiegen, als ich den Mann auf dem oberen Absatz stehen sah.
»Wer, zum Teufel, sind Sie?«, fragte er.
Aber ich war schon losgespritzt. Er rannte die Treppe hinunter, aber nicht schnell genug. Ich war schon aus dem Haus und rannte weiter. Ich glaubte nicht, dass er mir folgen würde, aber er tat’s doch. Er musste Schuhe tragen, sonst hätte er sich auf dem Waldboden die Fußsohlen binnen weniger Sekunden zerfetzt.
Mir fiel nichts Besseres ein, als zu fliehen, aber natürlich kannte mein Verfolger den Wald weit besser als ich. Er hatte nicht um Unterstützung gerufen, also ging es Mann gegen Mann. Hinzu kam, dass ich eine Pistole und ein Messer besaß. Als er plötzlich vor mir auftauchte, fühlte ich mich also etwas selbstsicherer. Ich griff nach dem Messer, aber er stieß mir eine Faust ins Gesicht und einen Fuß gegen das Bein. Ich wusste, dass er nach der Kniescheibe gezielt hatte, was mir verriet, dass er im Nahkampf ausgebildet war. Aber er traf zu hoch, betäubte zwar meinen Oberschenkel, schaffte es aber nicht, mich bewegungsunfähig zu machen. Er war schnell, gar keine Frage. Aber jetzt hatte ich die Pistole in der Hand. Er schnappte danach: Seine Hand schoss aus der Dunkelheit hervor und verdrehte mir das Handgelenk, bis es fast brach. Ich ließ die Pistole fallen und griff mit der Linken nach dem Messer. Dadurch hatte er aber alle Zeit der Welt, einen weiteren Fausthieb und Tritt zu landen. Der Fausthieb erwischte mich an der Schläfe, und aus der Dunkelheit wurde plötzlich ein buntes Farbenspektrum von Blautönen. Der Tritt war einer von der Kung-Fu-Sorte und verfehlte mein Herz nur knapp. Seine Wucht reichte immerhin aus, um mich rückwärts zwischen die Bäume zu katapultieren. Gott allein weiß, wie ich es schaffte, das Gleichgewicht zu halten. Mir war klar, dass ich endlich das verfluchte Messer ziehen musste.
Der Mond trat hinter den Wolken hervor und beleuchtete seinen nackten Oberkörper. Er war über und über voller Schrammen und Kratzer, aber das schien ihn nicht im Mindesten zu behindern. Mit gebleckten Zähnen warf er sich, die Arme nach vorn ausgestreckt, auf mich. Er wusste alles über
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