Bis aufs Blut - Thriller
wusste von den Faktorlevels, er wusste, dass Bluter immer einen besonderen Ausweis dabeihaben sollten, er wusste, dass sie bei der geringsten Verletzung den Notruf wählen und einen Rettungswagen anfordern sollen. Er wusste eine ganze Menge.«
»Könnte er nicht einfach geraten haben?«
Hughes schüttelte den Kopf. »Ich sag’s Ihnen, der wusste Bescheid.«
»Wer ist Ihr Hämatologe hier?«
»Keine Ahnung, ich bin hier bloß der Transporteur.«
»Na, jetzt sind Sie aber zu bescheiden.«
Hughes’ Blick verriet Hoffer, dass er mit der Schmeicheltour nicht weiterkommen würde. »Was ist mit der Geschäftskarte - die ist ihm aus der Tasche gefallen?«
»Ja. Er sagte, das wär seine, aber die Polizei erklärte, das wär sie nicht. Ich sollte mir dann Gerald Flitch ansehen, den echten Gerald Flitch, meine ich. Das war er nicht.«
»Hmm, ich werd mich selbst noch mit ihm unterhalten.«
Die Tür der Notaufnahme flog mit einem Knall auf, und der Ambulanzfahrer zog einen Rollstuhl heraus und die Rampe hinunter. Hughes sprang aus dem Rettungswagen. Im Rollstuhl saß eine Frau, so steinalt und starr, dass sie wie ausgestopft aussah.
»Und schon geht’s wieder los, Mrs. Bridewell«, brüllte Hughes ihr zu, während sie sie gemeinsam in den Rettungswagen hievten. »Gleich sind Sie zu Haus.«
»Lohnt das die Fahrt überhaupt?«, murmelte Hoffer in sich hinein. Er wandte sich vom Rettungswagen ab, aber Hughes rief ihm etwas zu. Der Fahrer war schon eingestiegen und ließ den Motor an. Hughes hielt einen Arm auf der Hecktür, bereit, sie zu schließen.
»Das mit dem Herzinfarkt war kein Witz. Sie sollten wirklich abnehmen. Wir würden uns einen Bruch heben, wenn wir Sie auf die Trage wuchten müssten.«
»Sie sind ein richtiges Herzchen, Kumpel!«, rief Hoffer, aber er rief es der zugeknallten Hecktür eines Rettungswagens zu, der schon davonbrauste. Er stapfte wieder die Rampe hinauf und betrat die Notaufnahme. Die Schwester, mit der er schon gesprochen hatte, war noch immer da. Sie sah nicht so aus, als hätte sie sich nach ihm verzehrt.
»Nur noch eins«, sagte Hoffer und winkte sie mit dem Zeigefinger zu sich. »Mit wem kann ich mich hier über Hämophilie unterhalten?«
»Wörtlich bedeutet das ›Liebe zum Blut‹.«
Dr. Jacobs war ein schmächtiger Mann mit einer dieser englischen Schauspielerstimmen, von denen amerikanische Frauen ein feuchtes Höschen kriegen. Es war so, als ob Jeremy Irons irgendwo hinter den Kulissen stünde und Jacobs wäre seine Marionette. Er hatte außerdem die haarigsten Unterarme, die Hoffer jemals außerhalb eines Zoos gesehen hatte, und er konnte nur zehn Minuten für ihn erübrigen. Er erklärte gerade, was das Wort »Hämophilie« bedeutete.
»Das ist äußerst interessant«, sagte Hoffer. »Aber sehen Sie, der Mann, mit dem wir es hier zu tun haben, ist ein Berufsmörder, ein Sniper. Er arbeitet auch mit Sprengstoff. Klingt das nach einer passenden Beschäftigung für einen Bluter?«
»Nein, keineswegs. Oder sagen wir, nicht für einen schweren Bluter. Sehen Sie, die Krankheit tritt, grob gesagt, in drei unterschiedlichen Ausprägungen auf: schwer, mittelschwer und leicht. Die meisten registrierten Bluter in Großbritannien gehören der ersten Kategorie an - das heißt, sie zeigen eine weniger als zweiprozentige Faktoraktivität.«
»Was heißt ›Faktoraktivität‹?«
»Bluter, Mr. Hoffer, leiden an einer Störung der Blutgerinnung. Blutgerinnung ist ein komplexer Vorgang, an dem insgesamt dreizehn verschiedene Faktoren beteiligt sind. Wenn das eine passiert, passiert das Nächste, und so bedingt eins das andere. Wenn alle dreizehn Dinge passiert sind, findet die Blutgerinnung statt. Aber Blutern fehlt einer der Faktoren, wodurch die Ereigniskette unterbrochen wird und die Gerinnung nicht stattfinden kann. Die meisten Bluter leiden an einem Mangel an Faktor VIII, manche an einem Mangel an Faktor IX. Es gibt ein paar noch seltenere Störungen, aber diese beiden sind die hauptsächlichen. Der Mangel an Faktor VIII wird als Hämophilie A bezeichnet, der an Faktor IX als Hämophilie B. Können Sie mir so weit folgen?«
»Einwandfrei.«
Dr. Jacobs lehnte sich in seinem schwarzen Ledersessel zurück. Er hatte ein kleines, enges Arbeitszimmer, vollgestopft mit Fachbüchern und Untersuchungsergebnissen sowie Stößen unbeantworteter Post. Sein weißer Kittel hing an einem Haken hinter der Tür, und an den Wänden prangten jede Menge gerahmte Diplome. Er hielt die Arme
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