Bis aufs Blut - Thriller
kleiner Preis für Joe Drapers Unterstützung. Joe war ein hervorragender Produzent, wenn auch, wie so viele seiner Kollegen beim Fernsehen, eine richtige Diva. Sein Geld hatte er mit einer Krimiserie und ein paar Sitcoms gemacht (eine davon mit Freddy in der Rolle des Nachbarn auf Irrwegen), dann hatte er eine eigene Produktionsfirma gegründet und sich auf Dokumentarfilme und Dokudramen spezialisiert. Es waren gute Zeiten für selbständige Produzenten, solange man ein Gespür für den Markt und ein paar Connections zu den verschiedenen Sendern hatte. Joe hatte jede Menge Freunde: Die Wochenend-Kokspartys, die er in seinem Haus in Wiltshire veranstaltete, waren sehr beliebt. Er hatte sie schon ein paarmal dazu eingeladen, allerdings immer ohne Freddy.
»Sie vergessen eins, Joe: Für mich ist das Neuland, und ich kann da einfach nicht so relaxt wie Sie sein.« Okay, sie war auf ein Kompliment aus, und natürlich wusste das Joe.
»Lainie, Sie sind die Beste. Tun Sie einfach das, was Sie am besten können. Reden Sie mit ihr, bringen Sie sie dazu, sich zu öffnen, und dann lehnen Sie sich zurück und machen ein interessiertes Gesicht. Sie wissen schon, als ob Sie eine...« Da kam also wieder einer von Joes auf sämtlichen Beinen hinkenden Vergleiche: »... eine Löwenbändigerin wären. Sie gehen rein, knallen mit der Peitsche, und sobald sie anfängt, ihre Kunststücke zu machen, können Sie relaxen und den Applaus einsacken.«
»Glauben Sie, dass es wirklich so leicht ist, Joe?«
»Nein, es ist harte Arbeit. Aber das Geheimnis ist, es nicht wie harte Arbeit aussehen zu lassen. Es sollte so glatt sein wie ein Billardtuch, so glatt, dass sie erst merkt, dass sie eingelocht worden ist, wenn sie in die Tasche plumpst.« Dann lachte er, und sie lachte mit ihm und wunderte sich über sich selbst. »Hören Sie, Lainie, das wird gutes Fernsehen, ich spüre es. Sie haben eine tolle Idee, und Sie packen die Sache genau richtig an, nämlich an der menschlichen Seite. Das zieht , schon seit der Zeit, als das Fernsehen noch in den Windeln lag. Jetzt packen Sie es an!«
Sie lächelte müde. »In Ordnung, Joe, mach ich.« Dann legte sie auf.
Zufrieden, rief sie den Fahrradbotendienst an. Sie schrieb einen kurzen Begleitbrief, legte ihn mit einer Kopie der Fragen in einen braunen DIN-A4-Umschlag und schrieb darauf Prendergasts Namen und Privatadresse. Als der Bote eintraf, zögerte sie kurz, bevor sie den Umschlag aus der Hand gab. Dann schloss sie die Tür und atmete aus. Sie befürchtete, sich übergeben zu müssen, aber dann ging’s wieder. Das war’s. Das waren die Fragen, mit denen sie es durchziehen würde. Bis fünf blieb ihr nicht viel anderes zu tun, als in Panik zu geraten und ein paar Pillen zu schlucken. Vielleicht würde sie ein bisschen rausgehen, um sich zu beruhigen, zum Regent’s Park spazieren und dann einmal um den Zoo herum. Die frische Luft und das Gras, die Bäume, die Kinder, die spielten und rannten oder durch die Gitterstäbe die Tiere bestaunten - diese Dinge beruhigten sie normalerweise. Sogar die Düsenflugzeuge am Himmel konnten eine gewisse Wirkung haben. Aber es funktionierte nur in fünfzig Prozent der Fälle. Die Hälfte der Male musste sie sich, nachdem sie sich beruhigt hatte, auf eine Parkbank setzen und weinen. Sie heulte und versteckte das Gesicht in ihrem Mantel und konnte niemandem erklären, warum sie es tat.
Sie konnte es nicht erklären, wusste es aber durchaus. Sie tat es, weil sie Angst hatte.
Am Ende blieb sie dann doch zu Haus. Sie lag in der Badewanne, als das Telefon klingelte. Mrs. Elfman war schon nach Hause gegangen, nachdem sie Eleanor wieder einmal erklärt hatte, sie würde Archies Zimmer nicht anrühren, bevor er nicht das schlimmste Chaos selbst beseitigt hätte. Freddy war zu seinem Südwester-Zerealien-Spot aufgebrochen, ohne sich auch nur zu verabschieden, geschweige denn, ihr alles Gute zu wünschen. Sie wusste, dass er nicht rechtzeitig wieder daheim sein, sondern in einen seiner vielen Pubs gehen würde, um sich mit anderen verbitterten Männern zu unterhalten. Vor sieben oder acht würde er nicht zurückkommen. Und was Archie betraf - den hatte sie sowieso schon seit Tagen nicht mehr gesehen.
Sie hatte das Telefon eine Zeit lang klingeln lassen - was konnte schon so wichtig sein? -, aber dann fiel ihr ein, dass es Molly Prendergast sein konnte, die eine der neuen Fragen beanstanden oder ablehnen wollte. Eleanor griff nach oben und nahm den Hörer des
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