Bis aufs Blut - Thriller
verloren, und er hält die rechte Wange, von unterhalb des Auges bis knapp über der Oberlippe, unter einer weißen Plastikprothese verborgen. Manchmal nennt Bel ihn das Phantom der Oper. Bei ihr lässt er das durchgehen. Von jemand anderem würde er sich das nicht bieten lassen.
Ich glaube, das ist der Grund, warum er sich immer freut, mich zu sehen. Es liegt nicht nur daran, dass ich reichlich Geld dabeihabe und was von ihm will, sondern auch, dass er nicht viele Leute zu Gesicht bekommt. Oder besser gesagt, er lässt es nicht zu, dass viele Leute ihn zu Gesicht bekommen. Er verbringt den ganzen Tag in seiner Werkstatt, wo er seine Waffen reinigt, schleift und poliert. Und ein Gutteil seiner Nächte verbringt er ebenfalls dort.
Er hatte eine Remington 700 mit einem bereits montierten Redfield-Zielfernrohr. Die US-Marines benutzen diese Militärversion der »Varmint« (mit der amerikanische Farmer »Ungeziefer« wie Präriehunde, Waschbären und Kojoten abknallen) als Scharfschützengewehr. Ich hatte schon mal eine benutzt und nichts gegen sie einzuwenden. Interessanter war allerdings ein Sterling Scharfschützengewehr. Die meisten Leute, die ich bislang kennengelernt hatte, dachten, in Dagenham würden nur Autos hergestellt, aber genau da kam das Sterling her. Es war benutzerfreundlich, bis hin zur Wangenstütze und der gezogenen Basküle. Man konnte es mit jeder beliebigen Führungsschiene bestücken und dadurch jedes auf dem Markt erhältliche Zielfernrohr oder Nachtsichtgerät einsetzen. Ich muss zugeben, es war verlockend.
Es gab auch noch andere Waffen. Max hatte sie nicht auf Lager, wusste aber, wo er sie beziehen konnte: eine L39A1, das hässliche Mauser SP66, ein Fusil Modèle 1 Type A. Aber ich entschied, dass ich etwas Britisches wollte. Nennen Sie mich ruhig sentimental. Und schließlich übergab mir Max das Gewehr, von dem wir beide gewusst hatten, dass es die Waffe meiner Wahl sein würde: ein Model PM.
Die Herstellerfirma, Accuracy International, nennt das Gewehr PM. Ich weiß nicht, wofür die Buchstaben stehen, vielleicht Post Mortem. Die britische Armee kennt es allerdings als Sniper Rifle L96A1. Etwas sperrig, wie Sie zugeben werden, weswegen Max und ich beim schlichten PM bleiben. Es gibt davon verschiedene Versionen, und Max bot mir das Super Magnum an (daher auch die.338 Lapua Magnum-Munition). Das Gewehr war schon von Haus aus nicht gerade das, was man eine Schönheit nennen würde, und als ich es in meinem Hotelzimmer auspackte, fand ich es sogar noch unansehnlicher, da ich die Originaltarnlackierung zusätzlich getarnt hatte.
Das olivgrün lackierte PM ist prima, wenn man sich zwischen Bäumen versteckt, aber schon weniger unauffällig, wenn man vom grauen Beton einer Stadt umgeben ist. Also hatte ich es in Max’ Werkstatt mit grauem Klebeband umwickelt und dabei die ganze Zeit die Handschuhe anbehalten, um keine Fingerabdrücke auf dem Band zu hinterlassen. Infolgedessen sah das PM jetzt so aus wie das ballistische Äquivalent des Unsichtbaren: von oben bis unten bandagiert - bis auf die wenigen Partien, an die ich rankommen musste. Es war eine ziemliche Arbeit gewesen; allein den Lauf zu umwickeln hatte gute zwei Stunden in Anspruch genommen.
Das PM ist mit fast zehn Zentimetern mehr Lauf als die Remington ein langes Gewehr und auch schwer, obwohl es größtenteils aus Kunststoff besteht - wenn auch aus hochschlagfestem. Doppelt so schwer wie die Remington und gut sieben Pfund schwerer als das Sterling. Aber das störte mich nicht, schließlich musste ich das Ding ja nicht durch den Dschungel schleppen. Noch länger wurde das Gewehr durch den selbstgebastelten Mündungsfeuerdämpfer, den ich daran montierte. (Während er mir dabei zusah, lächelte Max mit der Hälfte seines Gesichts. Wie ich, ist er ein Bewunderer von handwerklicher Schönheit, und das Beste, was man vom Ergebnis meiner Bemühungen sagen konnte, war, dass es seinen Zweck erfüllte.)
Alle Gewehre, die Max mir angeboten hatte, waren Repetierbüchsen mit Geradzugverschluss, alle Kaliber 7,62 mm, und alle hatten vier Züge mit Rechtsdrall. Sie unterschieden sich hinsichtlich Bauart und Mündungsgeschwindigkeit, Länge und Gewicht, aber sie wiesen ein gemeinsames Merkmal auf: Sie waren alle tödlich.
Am Ende entschied ich, dass ich das integrierte Zweibein nicht brauchte: Bei dem Winkel, in dem ich schießen würde, wäre es eher hinderlich als nützlich. Also montierte ich es ab, was das Gesamtgewicht ein wenig
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