Bis das Blut gefriert
drangen die Sprossen aus der Wand.
Ich kletterte auf den Rand, der zwar bröckelig aussah, aber mein Gewicht hielt. Ich drehte mich dort und stieg mit dem Gesicht zur Innenwand hin in den Brunnen hinein.
Schon beim ersten Versuch hatte ich die Sprosse getroffen. Sie war zwar klein, aber sie erfüllte ihren Zweck. Auf nichts anderes war ich eingestellt.
Es war unklar, wie tief der Brunnen war, aber ich bezweifelte, dass mir das Blut irgendwann entgegenquoll, um mich zu überschwemmen...
***
Ich hatte aufgehört die Sprossen zu zählen, denn ich befand mich in einer Umgebung wieder, die meine gesamte Aufmerksamkeit erforderte. Mit viel Phantasie konnte man von einem Mittelstück zwischen Himmel und Hölle sprechen. Über mir der Himmel – jetzt nur noch ein viereckiger Ausschnitt und mit blauer Farbe gefüllt – unter mir drohte die Tiefe der Hölle. Ich sah auch Bill, wenn ich nach oben schaute. Der Kopf und ein Teil seiner Schultern ragten über den Rand hinweg. Ob er mich noch sah, wusste ich nicht, jedenfalls winkte er mir noch einmal zu.
Hatten wir uns vorhin noch über die Hitze beschwert, so war sie Gold gegen eine Luft, die mich auf dem Weg nach unten umfing. Sie war als solche kaum zu bezeichnen. Vielleicht passte der Oberbegriff schwül, doch dazwischen hatte sich ein alter und auch nach Blut riechender Gestank ausgebreitet, der mir den Atem verschlug. Es gab keine Stelle an meinem Körper, die nicht klebte. Je tiefer ich kam, um so intensiver wurde dieser alte Gestank, als hätte er sich in Jahrtausenden in diesen Wänden gehalten.
Eine Sprosse war locker. Auch das bestätigte mich in der Annahme, dass dieser Einstieg erst vor kurzer Zeit angebracht worden war. Ich fragte mich natürlich, für wen. Bestimmt nicht für Monster oder Dämonen, das hier wies eher auf einen Menschen hin, der dem Grund des Brunnens einen Besuch abstattete.
Als die Öffnung über mir noch etwas kleiner wirkte und Bill ebenfalls, blieb ich stehen und holte die kleine Leuchte hervor. Mit einer Hand hielt ich mich an der Sprosse fest, drehte den Körper etwas zur Seite und schickte den Lichtstrahl dann in die Dunkelheit.
Fast hätte ich gelacht. Der Boden lag zum Greifen nahe vor mir. Ich brauchte nur noch drei Sprossen zu überwinden, dann hatte ich ihn erreicht.
Obwohl die Haltung nicht die angenehmste war, ließ ich mir Zeit und schwenkte die Lampe. Der Kreis huschte über einen Boden hinweg, der feucht schimmerte. Möglicherweise war es das alte Blut, das sich dort gesammelt hatte.
Ja, das musste es sein, denn der Lichtarm traf auch die bleichen Gebeine, von denen Rosanna Fabrini berichtet hatte. Selbst den fleischlosen Skelettschädel sah ich.
»Bill!« Ich brüllte den Namen meines Freundes so laut wie möglich.
Er hatte mich gehört. »Wo bist du?«
»Auf dem Grund.«
»Ja, ich sehe dein Licht. Was hast du gefunden?«
»Erzähle ich dir, wenn ich wieder oben bin. Ich schaue mich erst mal um.«
Die drei Stufen hatte ich schnell zurückgelegt. Zuerst erreichte ich mit dem rechten Fuß den Untergrund, der – und das hatte ich mir gedacht – ziemlich weich war. Er bestand aus feuchtem Schlamm, der sofort die Schuhe umklebte.
Die Lampe leistete mir hier eine gute Hilfe. Sie strich über die nicht glatte Oberfläche hinweg, die eine rötlich-braune Farbe aufwies. Da mussten sich Blut und Schlamm miteinander vermischt haben. Hinzu kam noch der Gestank, der ein normales Atmen so gut wie unmöglich machte. Ich hatte den Eindruck, dass sich etwas Schweres auf meinen Brustkorb gelegt hatte. Zwar drang Luft durch den Schacht in das Innere, aber sie verwehte auf ihrem Weg zum Grund.
Ich hatte Platz genug, um mich bewegen zu können und umging die Knochen, die aus dem Schlamm schauten. Das Licht der Lampe vertrieb die Finsternis an bestimmten Stellen. Ich leuchtete auch gegen feuchtes Mauerwerk und entdeckte auf dem Gestein ebenfalls die Krusten.
Plötzlich sah ich das Loch!
Die helle Lichtlanze fand keinen Widerstand mehr. Sie stach in eine dunkle Tiefe hinein, ohne einen Punkt zu finden, auf dem sich ein Kreis abgemalt hätte.
Wer A sagt, muss auch B sagen. Stollen und unterirdische Gänge erwecken immer meine Neugierde. Auch in diesem Fall hatte sich daran nichts geändert.
Um den Stollen betreten zu können, musste ich mich ducken. Ich hatte nie zur Zeit der Etrusker gelebt, aber ich wusste, dass die späteren Römer von ihnen einiges übernommen und auch gelernt hatten. So auch den Aufbau von Gängen und
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