Bis das Blut gefriert
anderes, denke ich.«
»Das hoffe ich auch.«
»Bestimmt.«
»Hi, Rosanna, auch mal wieder hier.« Vom Nebentisch grüßten zwei junge Burschen, die ihre Muskeln unter den eng anliegenden schwarzen T-Shirts spielen ließen. Sie antwortete nicht.
»Sogar ein frommer Mann ist bei dir. Soll er dir helfen, deine Unschuld zu verteidigen?«
Der Typ hatte ziemlich laut gesprochen. Seine Stimme war an den Nebentischen zu hören gewesen, wo man alle Mühe hatte, nicht zu grinsen oder zu lachen.
Rosanna hatte einen knallroten Kopf bekommen. Sie fühlte sich blamiert und gedemütigt, was wiederum Ignatius störte.
»Lass mich das mal machen«, sagte er und drehte sich auf seinem Stuhl herum.
Auch die beiden Großmäuler saßen im Schatten eines Sonnenschirms. Sie gehörten zu der Sorte, die viel in den Armen, aber wenig im Kopf hatten. Ignatius schaute sie nur an. »Ich weiß, dass es Menschen gibt, die keine Kinderstube gehabt haben, wie wir als Ältere sagen. Doch diese Masse aus Dummheit und Borniertheit braucht man nicht noch nach außen zu tragen. Es reicht, wenn ihr den Mund haltet und intelligenten Menschen nicht auf die Nerven geht. Haben wir uns verstanden?«
Das hatten die beiden. Sie wurden plötzlich sehr still und schauten zur Seite.
Father Ignatius war zufrieden. »Hat doch geklappt – oder?«
Rosanna hatte während des Gesprächs auf die Tischplatte geschaut. Jetzt sah sie hoch. »Ja, Father, bei Ihnen. Wäre ich mit Flavio hier gewesen, hätte es Ärger gegeben. Diese Typen halten sich für unwahrscheinlich cool.«
»Dabei sind sie nur dumm. Aber das zu merken oder einem Menschen beizubringen ist nicht eben leicht.«
»Bei denen schon gar nicht.«
Die Bedienung hatte sie gesehen und stellte sich vor den Brunnen. »He, Rosanna, mal wieder da.«
»Wie du siehst, Lucia.«
»Seit du mit Flavio zusammen bist, sieht man dich kaum noch in Discos.«
»Habe ich auch keinen Bock drauf.«
»Aber auf Eis, wie?«
»Ja, ich nehme den kleinen Hausbecher.«
»Gut. Und Sie, Signore?«
» Aqua minerale . Eine kleine Flasche. Ach ja, und bringen Sie mir noch einen Espresso.«
»Alles klar.«
Mit wehendem Rock schwang die Bedienung davon. Sie hatte ihr Haar ganz kurz geschnitten und den verbleibenden Flaum hellrot eingefärbt.
»Kennst du sie?«, fragte Ignatius.
»Ja. Wir sind mal zusammen in eine Klasse gegangen. Dann haben sich unsere Wege getrennt.«
Ignatius fragte nicht mehr weiter. Er lehnte sich in seinem hellen Korbstuhl zurück und ließ die Blicke über den Parkplatz gleiten. Er sah aus wie ein entspannter Mensch, was er aber nicht war, denn im Innern sah es anders aus. Für ihn war das Leben und Treiben auf dem Marktplatz nur eine große Bühne, auf der Theater gespielt wurde, um das wahre Leben zu verdecken. Es hielt sich verborgen, es lauerte im Untergrund, und es hatte sich über mehrere Jahrtausende gehalten.
Lucia servierte den Espresso. Auch die Flasche Wasser hatte sie mitgebracht, und das Eis war auch schon da. Die Schale stand ebenfalls auf dem Tablett. Aus ihr schauten die bunten Kugeln hervor, über die dicker, roter Kirschsirup lief, wobei Rosanna im ersten Moment wieder an das Blut dachte, denn ihre Lippen zuckten.
Father Ignatius hatte es mitbekommen und sofort die richtigen Schlüsse gezogen. »So darfst du nicht denken, Kind. Das ist Saft und kein Blut aus dem Boden.«
»Ja, ja, ich weiß. Aber es sieht so komisch aus.«
»Lass es dir trotzdem schmecken.«
»Danke.«
Die übrigen Gäste hatten sich an den Anblick der beiden gewöhnt. Sie interessierten sich wieder für sich selbst oder ihre Getränke. Die Welt hatte die Normalität wieder zurückerhalten. Es gab keinen Hinweis auf einen Angriff. Aber Ignatius war vorsichtig. Er dachte dabei mehr an die Ruhe vor dem großen Sturm.
Der Brunnen brachte etwas Kühle unter den Sonnenschirm. Er plätscherte vor sich hin, und an das Geräusch konnte man sich leicht gewöhnen. Wieder ließ Ignatius seine Blicke über den Marktplatz gleiten, auf dem alles so friedlich wirkte. Er lag noch im Schein der Sonne, aber es gab nicht nur die Helligkeit, sondern auch die Schatten im Leben.
Davon konnte Ignatius ein besonderes Lied singen. Sein Leben war spannend wie ein Roman gewesen, und das Schlusskapitel war noch längst nicht geschrieben worden.
Er überlegte, wie es weiterging. John Sinclair und Bill Conolly waren noch nicht zurückgekehrt. Ignatius wusste nicht, ob er sich deswegen Sorgen machen musste. Die beiden waren erfahren,
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