Bis Das Feuer Die Nacht Erhellt
verheimlichen. Ich konnte ihn nicht zur Hölle fahren lassen, aber die Erzengel konnten es. Wenn ich einen Weg fand, mich mit ihnen in Verbindung zu setzen, dann würde sein sorgsam gehütetes Geheimnis ans Tageslicht kommen. Die Erzengel suchten nach einem Grund, um ihn zur Hölle zu schicken. Nun, den konnte ich ihnen geben.
Instinktiv wusste ich, dass er seine Geheimnisse in dem Apartment in Swathmore hütete. Es war sein einziger verwundbarer
Punkt. Außer Rixon durfte es niemand betreten. Als ich vorhin Rixon gegenüber erwähnt hatte, dass ich schon dort gewesen sei, hatte er sehr überrascht reagiert. Er zieht es vor, seine Adresse im Dunkeln zu lassen, hatte er gesagt. Hatte Patch es geschafft, sie vor den Erzengeln geheim zu halten? Das schien mir höchst unwahrscheinlich, beinahe unmöglich, aber Patch hatte bewiesen, dass er sehr gut darin war, Hindernisse zu umgehen. Wenn jemand einfallsreich und clever genug war, die Erzengel zu hintergehen, dann war es Patch. Ich schauderte unerwartet, als ich mich fragte, was er in seinem Apartment verbergen mochte. Ein seltsames Gefühl, das meine Wirbelsäule entlangstrich, schien mich zu warnen, nicht hinzugehen. Aber ich schuldete es meinem Vater, seinen Mörder der gerechten Strafe zuzuführen.
Ich kramte eine Taschenlampe unter meinem Bett hervor und steckte sie in die Vordertasche der Windjacke. Als ich auf die Füße kam, blieb mein Blick an Marcies Tagebuch hängen. Es lag oben auf einer Reihe Bücher auf meinem Bücherregal. Ich diskutierte einen Moment lang mit mir selbst und fühlte, wie sich ein Loch in mein Gewissen brannte. Mit einem Seufzer steckte ich das Tagebuch neben die Taschenlampe, schloss hinter mir ab und ging los.
Ich ging die eineinhalb Kilometer zur Beech und stieg dort in einen Bus in die Herring Street. Dann ging ich drei Blocks zur Keate, sprang in einen anderen Bus zur Clementine und ging zu Fuß den kurvigen Hügel mit Ausblick hinauf, der zu Marcies Viertel führte. Es war so vornehm, wie das in Coldwater überhaupt möglich war. Der Geruch nach frisch gemähtem Gras und Hortensien lag in der Abendluft, und es herrschte kein Verkehr. Die Wagen waren ordentlich in Garagen geparkt, weshalb die Straßen breiter aussahen, sauberer. Die Fenster der weißen Kolonialhäuser spiegelten
den Schein der untergehenden Sonne, und ich stellte mir vor, wie Familien hinter den Fenstern zu einem späten Abendessen zusammensaßen. Ich biss mir auf die Lippe, als mich ein plötzlicher Schub untröstlicher Reue überkam. Meine Familie würde sich nie wieder zu einem Abendessen zusammensetzen. Drei Abende in der Woche aß ich allein oder bei Vee. Die anderen vier Abende, wenn meine Mutter zu Hause war, aßen wir unser Abendessen gewöhnlich vor dem Fernseher.
Wegen Patch.
Ich bog auf die Benchley ein und zählte die Häuser bis zu Marcies. Ihr roter Toyota 4-Runner war in der Einfahrt geparkt, aber ich wusste, dass sie im Kino war. Patch hatte sie bestimmt mit dem Jeep abgeholt. Ich überquerte den Rasen und überlegte gerade, dass ich das Tagebuch auf der Veranda liegenlassen würde, als die Haustür aufging.
Marcie hatte ihre Handtasche über der Schulter, Schlüssel in der Hand, und war ganz offensichtlich im Begriff wegzugehen. Sie gefror auf der Schwelle, als sie mich sah.
»Was machst du denn hier?«, fragte sie.
Ich machte den Mund auf, doch es verstrichen volle drei Sekunden, bevor Worte herauskamen. »Ich … ich dachte nicht, dass du … zu Hause wärst.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Nun, bin ich aber.«
»Ich dachte, du … und Patch …« Ich sprach völlig unzusammenhängend. Das Tagebuch unter meinem Arm war nicht zu übersehen. Jeden Moment würde Marcie es bemerken.
»Er hat abgesagt«, blaffte sie mich an.
Ich hörte sie kaum. Gleich würde sie das Tagebuch sehen. Wie noch nie zuvor in meinem Leben wollte ich die Zeit zurückdrehen. Ich hätte die ganze Sache durchdenken sollen, bevor ich herkam. Warum hatte ich nicht damit gerechnet, dass sie zu Hause sein könnte? Nervös sah ich mich um,
starrte auf die Straße, als könnte von dort jemand irgendwie zu meiner Rettung herbeieilen.
Marcie holte plötzlich keuchend Luft. »Was machst du da mit meinem Tagebuch?«
Ich fuhr herum, mit brennenden Wangen.
Sie marschierte die Veranda herunter, riss mir das Tagebuch aus der Hand und zog es reflexartig an ihre Brust. »Du hast es – gestohlen?«
Meine Hände fielen hilflos herunter. »Ich habe es bei deiner Party gestohlen.«
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