Bis Das Feuer Die Nacht Erhellt
alle und rannten in verschiedene Richtungen davon.
»Er hat eine Waffe!« Die Worte klangen nur undeutlich an mein Ohr, sie kamen wie aus weiter Entfernung.
Obwohl nichts in mir das wollte, drehte ich mich doch um.
Scott hielt sich die Seite, und grellrote Flüssigkeit sickerte durch sein Hemd. Sein Mund war geöffnet, seine Augen im Schock weit aufgerissen.
Er fiel auf ein Knie, und ich sah, dass jemand ein paar Meter hinter ihm eine Waffe in der Hand hielt. Rixon. Vee stand neben ihm, Hände vor den Mund geschlagen, ihr Gesicht weiß wie ein Bettlaken.
Es gab eine Massenpanik aus Füßen und Gliedern und schaurigen Schreien, und ich rutschte an die Seite des Weges, damit niemand über mich hinwegtrampelte.
»Er entkommt!«, hörte ich Vee kreischen. »Jemand muss ihn aufhalten!«
Rixon feuerte mehrere Schüsse ab, aber dieses Mal ging niemand zu Boden. Stattdessen wurde das Drängen zum Ausgang stärker. Ich stand auf und sah dorthin, wo ich Rixon und Vee zuletzt gesehen hatte. Das Echo der Schüsse hallte noch in meinen Ohren, aber ich konnte die Worte lesen, als sie von Rixons Lippen kamen. Da drüben. Er schwang seinen freien Arm durch die Luft. Wie in Zeitlupe kämpfte ich mich durch den Strom und rannte zu ihm.
»Was zum Teufel ist hier los?«, schrie Vee. »Warum hast du auf ihn geschossen, Rixon?«
»Das ist eine Form von Bürgerwehr«, sagte er. »Okay, und außerdem hat Patch gesagt, dass ich es tun soll.«
»Du kannst nicht einfach Leute erschießen, nur weil Patch es dir sagt!«, gab Vee mit wildem Blick zurück. »Sie werden dich festnehmen. Was sollen wir jetzt nur machen?«, stöhnte sie.
»Die Polizei ist schon unterwegs«, sagte ich. »Sie wissen von Scott.«
»Wir müssen hier weg!«, rief Vee, immer noch hysterisch, schlenkerte mit den Armen und ging ein paar Schritte, nur um sich dann im Kreis zu drehen und wieder dort anzukommen,
wo sie losgegangen war. »Ich werde Nora auf die Polizeistation bringen. Rixon, geh und such nach Scott, aber schieß nicht mehr auf ihn – fessle ihn wie beim letzten Mal!«
»Nora kann nicht durchs Tor. Damit rechnet er doch. Ich kenne einen anderen Weg nach draußen. Vee, hol den Neon und triff uns am Südende des Parkplatzes, an der Müllkippe.«
»Wie werdet ihr rauskommen?«, wollte Vee wissen.
»Durch die unterirdischen Tunnel.«
»Es gibt Tunnel unter dem Delphic?«, fragte Vee.
Rixon küsste sie auf die Stirn. »Beeil dich, Liebes.«
Die Menge hatte sich aufgelöst, und der Gehweg war leer. Ich konnte noch immer panisches Kreischen und Schreie hören, die den Weg hinunter nachklangen, aber sie hörten sich an, als wären sie unendlich weit entfernt. Vee zögerte einen Moment, dann nickte sie resolut. »Aber beeil dich, okay?«
»Es gibt einen Maschinenraum im Keller des Gruselkabinetts«, erklärte mir Rixon, als wir eilig in die entgegengesetzte Richtung liefen. »Dort ist eine Tür, die in die Tunnel unterm Delphic führt. Scott hat vielleicht von den Tunneln gehört, aber selbst wenn er herausfindet, wo wir hingegangen sind und uns folgt, kann er uns unmöglich finden. Da drinnen ist es wie in einem Labyrinth, und es geht meilenweit so weiter.« Er lächelte nervös. »Mach dir keine Sorgen, der Delphic ist von gefallenen Engeln gebaut worden. Nicht von mir persönlich, aber ein paar von meinen Freunden haben geholfen. Ich kenne die Wege auswendig. Äh, größtenteils jedenfalls.«
DREIUNDZWANZIG
A ls wir uns dem grinsenden Clownskopf näherten, der ins Gruselkabinett führte, wurden die entfernten Schreie von unheimlicher Drehorgel-Kirmesmusik abgelöst, die laut aus den Eingeweiden des Gruselkabinetts erklang. Ich trat durch den Mund, und der Boden verschob sich. Ich wollte mich an der Wand festhalten, aber die Wände drehten sich unter meinen Händen weg. Als sich meine Augen an die Spuren von Licht gewöhnt hatten, die durch den Mund des Clowns hinter mir drangen, sah ich, dass ich mich in einem sich drehenden Fass befand, das sich in die Ewigkeit zu erstrecken schien. Das Fass war mit roten und weißen Streifen bemalt, die zu einem schwindelerregenden Rosa verschwammen.
»Hier lang«, sagte Rixon und führte mich durch das Fass.
Ich setzte einen Fuß vor den anderen, schlitterte und stolperte voran. Als ich am Ende auf festen Boden gelangte, schoss ein Strahl eisiger Luft daraus hervor. Die Kälte leckte an meiner Haut, und ich sprang mit einem erschrockenen Aufkeuchen zur Seite.
»Es ist nicht real«, versicherte mir Rixon.
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