Bis Das Feuer Die Nacht Erhellt

Nephilim oder gefallener Engel, er war vermutlich genauso mächtig. Was auch immer geschehen würde, es würde keine gewöhnliche Schlägerei werden.

    Sie hätte ihre Lektion bei Bo’s gelernt haben und zu Hause bleiben sollen. Und ich auch.
    Der Kerl im roten Shirt schubste Scott mit der Waffe, und er stürzte nach hinten auf die Tischplatte. Aus Überraschung oder Angst ließ Scott den Billardstock los, und der Kerl hob ihn auf. In einer fließenden Bewegung sprang er auf den Tisch, richtete den Billardstock auf Scotts Gesicht und pfählte ihn zwei Zentimeter von Scotts Ohr entfernt in den Tisch. Der Billardstock traf mit solcher Wucht auf, dass er die Filzoberfläche durchstieß. Fünfundzwanzig Zentimeter davon waren unter dem Tisch zu sehen. Ich unterdrückte einen Aufschrei.
    Scotts Adamsapfel zitterte. »Du bist ja verrückt, Mann«, sagte er.
    Plötzlich flog ein Barhocker durch die Luft und traf den Kerl im roten Shirt von der Seite. Er fand sein Gleichgewicht wieder, musste aber vom Tisch springen.
    »Auf ihn«, rief jemand in der Menge.
    So etwas wie Kriegsgeheul kam auf, und noch andere Leute griffen nach Barhockern. Ich ging auf die Knie und suchte zwischen dem Wald aus Beinen nach dem nächsten Ausgang. Ein paar Körper weiter stand ein Typ mit einer Waffe, die in einem Knöchelhalfter steckte … er griff danach, und einen Augenblick später ertönte das splitternde Geräusch von Schüssen. Was darauf folgte, war nicht Stille, sondern noch größeres Chaos: Fluchen, Schreien und Fäuste, die auf Fleisch trafen. Ich kam auf die Füße und rannte vornübergebeugt zur Hintertür.
    Ich war gerade durch den Ausgang geschlüpft, als jemand mich beim Hosenbund packte und aufrecht stellte. Patch.
    »Nimm den Jeep«, befahl er, wobei er mir seine Autoschlüssel in die Hand drückte. Eine flüchtige Pause. »Worauf wartest du noch?«

    Meine Augen füllten sich mit Tränen, aber ich blinzelte sie wütend weg. »Hör auf, dich zu benehmen, als wäre ich eine riesige Last für dich! Ich hab dich nicht um Hilfe gebeten!«
    »Ich hatte dir gesagt, du sollst nicht hierherkommen. Du wärst keine Last, wenn du auf mich gehört hättest. Das hier ist nicht deine Welt, sondern meine. Du bist so versessen darauf, mir zu zeigen, dass du damit umgehen kannst, dass du am Ende noch was Dummes anstellst und dich umbringen lässt.«
    Das nahm ich ihm übel und machte den Mund auf, um es ihm zu sagen.
    »Der Typ im roten Shirt ist ein Nephilim«, sagte Patch, ohne mich zu Wort kommen zu lassen. »Das Brandzeichen bedeutet, dass er tief in die Blutsbruderschaft verwickelt ist, von der ich dir vorhin erzählt habe. Er hat ihnen Gefolgschaft geschworen.«
    »Brandzeichen?«
    »Dicht an seinem Schlüsselbein.«
    Diese Missbildung war eine Art Brandzeichen? Ich richtete den Blick auf das kleine Fenster in der Tür. Drinnen wimmelte es von Körpern auf Billardtischen, Schläge wurden in alle Richtungen ausgeteilt. Ich sah den Kerl im roten Shirt nicht mehr, aber jetzt verstand ich, warum er mir bekannt vorgekommen war. Er war ein Nephilim. Er erinnerte mich an Chauncey, und zwar viel stärker als Scott. Ich fragte mich, ob das irgendwie bedeuten konnte, dass er wie Chauncey war, böse. Und Scott nicht.
    Ein lautes Geräusch schien meine Trommelfelle zu zerreißen, und Patch riss mich zu Boden. Glasscherben hagelten um uns nieder. Jemand hatte auf das Fenster in der Hintertür geschossen.
    »Verschwinde hier«, sagte Patch und schubste mich in Richtung Straße.

    Ich drehte mich um. »Wo gehst du hin?«
    »Marcie ist noch drin. Ich fahre mit ihr.«
    Meine Lungen schienen verschlossen zu sein, keine Luft ging hinein oder heraus. »Was ist mit mir? Du bist mein Schutzengel.«
    Patch sah mich schneidend an. »Nicht mehr, mein Engelchen. « Bevor ich widersprechen konnte, schlüpfte er durch die Tür und verschwand im Chaos.
    Draußen auf der Straße schloss ich den Jeep auf, ruckte den Sitz nach vorn und fuhr mit Vollgas vom Parkplatz. Er war nicht mehr mein Schutzengel? Meinte er das ernst? Und das alles nur, weil ich gesagt hatte, dass ich es so wollte? Oder hatte er das nur gesagt, um mir Angst zu machen? Damit ich meinen Ausspruch von vorhin bereute? Nun, wenn er nicht mehr mein Schutzengel war, dann nur, weil ich versuchte, das Richtige zu tun! Ich versuchte, das Ganze für uns beide leichter zu machen. Ich versuchte, ihn vor den Erzengeln zu schützen . Ich hatte ihm genau gesagt, warum ich es getan hatte, und er hielt es mir vor,