Bis Das Feuer Die Nacht Erhellt
Punkte. Dann brauche ich nur noch zweihundert, um aus den roten Zahlen herauszukommen.«
»Warum hörst du nicht auf zu trinken?«, schlug ich vor.
»Aufhören? Ist das ein Witz? Mein Leben ist schon zum Kotzen, wenn ich nur die Hälfte davon mitkriege. Wenn ich aufhören würde zu trinken und sähe, wie es wirklich ist, würde ich wahrscheinlich von der nächsten Brücke springen.«
Wir schwiegen einen Augenblick.
»Wenn ich besoffen bin, kann ich fast vergessen, wer ich bin«, sagte er, und sein Lächeln verblasste ein wenig. »Ich weiß, dass ich existiere, aber nur so gerade eben. Das fühlt sich gut an.« Er trank den letzten Schluck aus der Thermosflasche, die Augen auf die Dunkelheit vor uns gerichtet.
»Nun ja, mein Leben ist auch nicht so toll.«
»Dein Vater?«, riet er und wischte sich mit dem Handrücken über die Oberlippe. »Das war nicht deine Schuld.«
»Was es fast noch schlimmer macht.«
»Wie das?«
»Wenn es meine Schuld gewesen wäre, dann würde das bedeuten, dass ich etwas falsch gemacht hätte. Ich würde es mir lange Zeit vorwerfen, aber schließlich könnte ich darüber hinwegkommen. Aber jetzt sitze ich hier und frage mich immer wieder dasselbe: Warum mein Vater?«
»Verständlich«, sagte Scott.
Ein sanfter Regen setzte ein. Ein Sommerregen mit dicken, warmen Tropfen, die überall zerplatzten.
»Was soll das denn?«, hörte ich Marcie von etwas weiter weg, irgendwo in der Nähe des Feuers, rufen. Ich beobachtete die Umrisse der Leute, die sich aufrappelten. Patch war nicht darunter.
»Alle in meine Wohnung!«, brüllte Scott und sprang schwungvoll auf. Er taumelte kurz zur Seite und hielt nur mit Mühe das Gleichgewicht. »Siebzig-Zwei Deacon Road, Apartment zweiunddreißig. Es ist nicht abgeschlossen, Bier ist reichlich im Kühlschrank. Oh, und hab ich schon gesagt, dass meine Mom den ganzen Abend Bunco spielen ist?«
Beifallsrufe kamen auf, während alle ihre Schuhe und andere herumliegende Kleidungsstücke einsammelten und durch den Sand zum Parkplatz gingen.
Scott stupste mich mit einem seiner Flip-Flops an. »Brauchst du eine Mitfahrgelegenheit? Komm schon, ich lass dich sogar fahren.«
»Danke für die Einladung, aber ich glaube, mir reicht’s.« Patch war nicht hier. Das war der einzige Grund, weshalb ich hergekommen war, und mit einem Mal fühlte sich der Abend nicht nur wie eine Enttäuschung an, sondern wie komplette Zeitverschwendung. Eigentlich hätte ich erleichtert sein sollen, Patch und Marcie nicht zusammen gesehen zu haben, aber ich war vor allem enttäuscht, fühlte mich einsam und
voller Schmerz. Und erschöpft. Ich wollte einfach nur in mein Bett kriechen und diesen Tag so schnell wie möglich hinter mich bringen, sonst nichts.
»Wahre Freunde lassen ihre Freunde nicht betrunken fahren«, versuchte Scott mich zu überreden.
»Versuchst du, an mein Gewissen zu appellieren?«
Er ließ die Schlüssel vor meinem Gesicht baumeln. »Wie kannst du nur diese einmalige Gelegenheit sausen lassen, den Mustang zu fahren?«
Ich stand auf und klopfte den Sand von den Hosen. »Wie wär’s, wenn du mir den Mustang für dreißig Dollar verkaufst? Ich kann sogar bar bezahlen.«
Er lachte und legte den Arm um meine Schultern. »Betrunken, aber so betrunken dann doch nicht, Grey.«
VIERZEHN
A ls ich wieder innerhalb der Stadtgrenzen von Coldwater war, fuhr ich den Mustang quer durch die Stadt und nahm die Beech in Richtung Deacon. Der Regen fiel immer noch mit leisem Rauschen. Die Straße war schmal und gewunden, immergrüne Bäume wuchsen bis zum Straßenrand. Als wir um die nächste Kurve fuhren, zeigte Scott auf einen Apartmentkomplex im Stil von Cape Cod mit klitzekleinen Balkonen und grauen Schindeln. Auf der kleinen Grünfläche davor befand sich ein heruntergekommener Tennisplatz. Der ganze Ort sah aus, als könnte er einen neuen Anstrich gebrauchen.
Ich parkte den Mustang ein.
»Danke für’s Mitnehmen«, sagte Scott und legte seinen Arm auf die Rückenlehne meines Sitzes. Seine Augen waren glasig, sein Lächeln hing an einer Seite faul herunter.
»Schaffst du’s bis rein?«, fragte ich.
»Ich will gar nicht reingehen«, lallte er. »Der Teppich riecht nach Hundepisse, und ich hab meine Mutter heute noch nicht angerufen. Die rastet aus, wenn ich mich nicht bald melde.« Ich griff über ihn hinweg und öffnete die Beifahrertür.
Als ich das tat, wickelte er sich eine meiner Locken um den Finger. »Hübsch.«
Ich wickelte sie wieder aus. »Hier
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