Bis das Glück mich findet
hatten ein wenig Farbe, und die Schatten unter ihren Augen waren nicht ganz so dunkel wie sonst.
»Wir sind in der Küche«, sagte Lily.
»Wir?« Emma schaute sie fragend an. »Wer ist wir?«
»Gabriel ist zu Besuch gekommen«, erwiderte Lily. »Er hat gesagt, er bietet uns nicht priesterlichen Rat und Trost an.«
Emma spürte, wie ihr Herz einen Satz machte. »Hoffentlich taugt dieser Rat etwas.«
»Ah, nun ja, er mag ja kein Priester mehr sein, aber er predigt nach wie vor vom Verzeihen.« Lily seufzte. »Also, ob ich meinem eigenen Sohn nicht verzeihen würde! Es ist nur …« Sie stieß die Tür zur Küche auf. »Meine Angst und Sorge ist so groß derzeit, dass für andere Empfindungen gar kein Platz ist.«
Gabriel saß am Küchentisch. Bei Emmas Anblick hob er verblüfft den Kopf. Sie trug ein schlichtes weißes Top und einen kurzen roten Rock, der ihre langen, noch immer wohlgeformten Beine gut zur Geltung brachte.
»Hallo«, sagte sie, holte sich einen Stuhl und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. »Was für eine Überraschung, dich hier zu sehen.«
»Ich dachte, ich sollte Lily mal wieder besuchen«, erklärte Gabriel. »Außerdem will Domino später herkommen, also werde ich hier auf sie warten.«
»Kommt mir irgendwie komisch vor, dass du sie auch so nennst«, sagte Emma.
»Der Name gefällt mir. Er passt zu ihr.«
»Sie hat dich immer ›der großartige Gabe‹ genannt«, berichtete Emma. »Wir alle nannten dich so. Aber nur hinter deinem Rücken.«
»Wollt ihr beide Tee?«, fragte Lily.
»Ich mache ihn.« Emma stand wieder auf. Die bohrenden Kopfschmerzen hatten immer noch nicht nachgelassen. Vielleicht lenkte das Teekochen sie ab.
»Nein, nein.« Lily hörte sich fast wieder an wie früher. »Geh doch mit Gabriel hinaus in den Garten. An so einem schönen Tag wie heute sollte man nicht im Zimmer hocken, außerdem habe ich schon länger keinen von diesen schrecklichen Fotografen mehr hier herumlungern sehen.«
»Fotografen?«, fragte Gabriel.
»Sie liegen auf der Lauer, um ein Foto von Brendan zu schießen, falls er hierherkommt. Wegen dieser Dreckskerle kann ich meinen eigenen Garten nicht mehr genießen.«
»Bei uns in Briarwood schnüffeln sie auch herum«, erzählte Emma.
»So was Bescheuertes«, schnaubte Lily, während sie den Wasserkessel füllte. »Warum können die uns nicht in Ruhe lassen?«
»Nun«, sagte Emma, »gehen wir?« Sie stieß die Tür auf und ging hinaus in den Garten. Gabriel folgte ihr. Emma sah sich forschend um, ehe sie sich an dem altehrwürdigen Gartentisch aus Holz niederließ, zu dem die ebenfalls bejahrten Stühle gehörten.
»Brendan wollte ihr eine schicke Gartenmöbelgarnitur aus Granit schenken«, sagte Emma. »So eine wie bei ihm zu Hause in Atlantic View. Aber Lily hängt an ihren alten Gartenmöbeln.«
»Die sehen doch gut aus«, sagte Gabriel. »Ich hätte die auch lieber.«
»Was für eine seltsame Situation«, sagte Emma, nachdem die beiden über eine Minute lang schweigend dagesessen hatten. »Es ist das erste Mal seit langer, langer Zeit, dass wir beide allein sind.«
»Man sollte die Vergangenheit ruhen lassen«, sagte Gabriel in gesetztem Ton.
»Sprichst du eigentlich immer so?«, fragte Emma gereizt. »Immer diese Klischees, und als würdest du mit jemandem reden, der deine Sprache nicht so gut beherrscht.«
»Natürlich nicht.«
»Nein.« Sie lachte kurz auf. »Natürlich nicht. Und jetzt, wo du ein ganz gewöhnlicher Mensch bist und nicht mehr unter dem besonderen Schutz Gottes stehst oder so, hast du wohl auch kaum mehr Gelegenheit, die Leute zu belehren.«
»Ich habe nie jemanden belehrt«, erwiderte Gabriel.
»Doch, mich hast du schon belehrt.« Sie schaute ihn an. »Wie ich mich anziehen soll. Wie ich mich benehmen soll. Und über das Thema Versuchung.«
»Das ist Jahre her«, erwiderte Gabriel. »Und ich war im Unrecht.«
»Nicht ganz«, erwiderte Emma. »Aber in vielen anderen Dingen hattest du unrecht.«
»Wie geht es dir und Greg?« Gabriel wechselte das Thema.
»Willst du jetzt wirklich über mich und Greg reden?«, fragte sie zurück.
»Wie sehr tangiert euch diese Sache mit Brendan?«, wollte Gabriel wissen.
»Oh, das ist anscheinend das Einzige, worüber alle reden wollen. Die Saga von Domino und Brendan.«
»Dann sag mir doch, worüber du reden willst«, erwiderte Gabriel.
»Es tangiert uns nicht in finanzieller Hinsicht«, beantwortete Emma Gabriels Frage von vorhin. »Greg hat nie für ihn gearbeitet,
Weitere Kostenlose Bücher