Bis das Herz brennt - die inoffizielle RAMMSTEIN Biografie
das Manko der schlechten Deutschkenntnisse ins Gegenteil, indem er mit Till Lindemanns Stimme wie mit einem Instrument arbeitete, wie er es seitdem bei jedem Album fortsetzte. Er war von Anfang an begeistert davon, dass der Rammstein-Frontmann sehr genau am Takt entlang phrasiert. Das schwedische Produzenten-Ass war dadurch in der Lage, die Stimme sehr rhythmisch in die Songs einzubauen und – noch mehr als das – sie organisch mit der Musik zu verweben.
Dass diese Arbeitsweise tatsächlich funktioniert, zeigt das erste Ergebnis der Zusammenarbeit mit Rammstein auf „Herzeleid“: Denn den Sound, den Band und Produzent zustande brachten, hatte es vorher in der deutschen Rockmusiklandschaft nicht gegeben. Rammstein paarten auf „Herzeleid“ raue, schroffe Gitarrenriffs und Bass-Läufe mit dem harten, knalligen Rhythmus, den die Drums hervorbrachten. Dazu kamen Elektroniksounds, welche die Rhythmik untermauerten und abfederten, die aber vor allem dieses wuchtige Gerüst mit Keyboard-Melodien überzogen und so die Songs regelrecht veredelten. Diese Mischung aus Metal und Elektronik hob Rammstein nicht nur von typischen Heavy-Metal-Bands wie Iron Maiden, Judas Priest und besonders Metallica ab. Sie machte die Musik sogar zwingend tanzbar, was gut in die Zeit ihrer Entstehung passte, denn stampfende pulsierende TechnoStücke hatten damals Hochkonjunktur, und der Einfluss dieser Musik ist auf „Herzeleid“ spürbar. Daher kann man die Musik des Debüts als rauen Dance-Metal bezeichnen, der auf den kommenden Alben noch verfeinert werden sollte und ein markantes Charakteristikum Rammsteins wurde.
Ein anderes Merkmal der Songs wurde Till Lindemanns Gesang. Er intoniert die Songs mit tiefer und durchdringender Bass- oder der etwas höheren Baritonstimme. Manchmal erreicht er aber auch die noch höhere Stimmlage Alt wie z. B. im fünften Song des „Herzeleid“-Albums „Seemann“, dessen Musik Bassist Oliver Riedel erdachte und der von Emanuel Fialik und Olav Bruhn für „Herzeleid“ zusätzlich bearbeitet wurde. „Seemann“ nahmen sich 2003 noch einmal Nina Hagen und die finnische Formation Apokalyptica, die für ihre Interpretationen von Metal-Songs mit dem Cello bekannt sind, als Cover-Song vor und schoben ihn auf Platz 13 der deutschen Single-Charts.
Das gesangliche Markenzeichen Tills – und damit ein weiteres typisches Rammstein-Merkmal – sollte das gerollte „R“ werden. Diese Art des Singens brachten Kritiker sofort damit in Verbindung, dass während der Zeit des faschistischen Dritten Reiches prominente nationalsozialistische Redner wie Reichspropagandaminister Joseph Goebbels und vor allem „Führer“ Adolf Hitler selbst ihre donnernden Ansprachen ebenfalls mit gerolltem „R“ in ähnlichem Tonfall absolvierten. Diese Assoziation wurde zum Anlass genommen, das Sextett rasch in der politisch rechten Ecke zu verorten.
Allerdings ist die Sache nicht so eindeutig zu bewerten, wie es manche Kritiker gern gehabt hätten, denn das so intonierte „R“ kommt zum einen in einigen deutschen Dialekten genauso vor wie in der Art, in der alte deutsche Volks- und Kunstlieder gesungen werden. Zum anderen könnte man dies auch schlicht als Kunstgriff des Sängers interpretieren, dem Klang der Lieder noch mehr Schwere zu verleihen.
In jedem Fall provozierte der Singstil und rief erhobene Zeigefinger hervor – wie auch die Textinhalte der Lieder, die Till Lindemann verfasst hatte, als regelrechte Schockwelle die Öffentlichkeit erregten und zu empörten Diskussionen hinriss.
So brachte der Song „Rammstein“, der erste der Band überhaupt, der in der Gründungsphase Anfang 1994 entstand, negative Kritik hervor, denn im Text geht es um das Flugzeugunglück in dem Ort Ramstein im Jahr 1988, nach dem sich die Band benannt hatte. Beim Vortrag „erscheint der Text dem Zuhörer wie eine kommentarlose und dokumentierende Fotoreihe des Szenarios“, wie Kulturwissenschaftlerin Anika Raecke in ihrer Magisterarbeit „Cultural Studies und Populärkulturanalyse: Die Rezeption von Rammstein“ aus dem Jahre 2003 formuliert. Die Kritik, so schreibt sie weiter, setzt ein, weil „von dem realen Leid (…) bei Rammstein nichts mehr sichtbar ist.“
Eine Spur provozierender kommt „Weisses Fleisch“ daher. In diesem Song geht es um einen Triebtäter, der einem jungen Mädchen auf dem Schulhof auflauert und es anschließend vergewaltigt und tötet. Die Geschichte wirkt deshalb so aufwühlend und schockierend und
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