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Bis dass der Tod uns scheidet

Bis dass der Tod uns scheidet

Titel: Bis dass der Tod uns scheidet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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war, war sie nicht so verspannt. Sie konnte sogar einschlafen, ohne dass im Hintergrund der Fernseher murmelte.
    Bei all der Verantwortung und den Misserfolgen, die mir durch den Kopf schwirrten, war ich hellwach. Ich stellte den Fernseher an und erhaschte gerade noch den Anfang von Der dünne Mann mit William Powell und Myrna Loy. Der trockene Humor der Dialoge machte mich ganz unruhig. Noch vor der Schlussszene stand ich auf und ging wieder ins Esszimmer.
    Elsa war gegen zehn Uhr nach Hause gegangen, und die große Wohnung war still. Es war zwei Uhr früh, dennoch wählte ich eine Nummer.
    Sie ging beim ersten Klingeln dran.
    »Hallo.«
    »Hi, Aura.«
    Es gab einen Augenblick verständnisvoller Stille, bevor sie fragte: »Leonid, was ist los?«
    »Ich vermisse dich.«
    »Ich dich auch.«
    »Was hast du gemacht?«, fragte ich.
    »Gelesen«, antwortete sie. »Nachgedacht.«
    »Worüber denn?«
    Darauf antwortete sie nicht.
    »Kann ich dich morgen sehen?«, fragte ich. »Zum Frühstück vielleicht?«
    »Natürlich.«
    »Ich liebe dich.«
    »Bis dann«, meinte sie. »Ich sollte jetzt wirklich schlafen gehen.«
    Ich ging wieder zu Bett, doch der Schlaf hatte sich in einem anderen Zimmer zur Ruhe gelegt, den Flur entlang bei den Kindern und dem Sterbenden.

11
    Auf der 46th Street gleich östlich der 5th Avenue gibt es einen kleinen Diner namens Winston’s. Es gibt dort einen mit rotem Linoleum beklebten Tresen und gelbe Tische an der Fensterfront. Ich musste Aura nicht sagen, dass wir uns dort treffen sollten – das war unser Lokal. Als ich kurz vor sieben dort eintraf, konnte ich durch die Scheibe sehen, dass sie schon an unserem Tisch saß und gerade ihren Kaffee serviert bekam.
    Ich blieb am Eingang stehen und wunderte mich zum wiederholten Mal, wie mein Herz zu rasen begann, wenn ich sie sah. Ich ließ diese Sphäre der Verwunderung hinter mir und trat an die Sitznische.
    Wir gaben uns keinen Kuss zur Begrüßung.
    Ich wollte Guten Morgen sagen, stattdessen kam »Ich liebe dich« heraus.
    Sie streckte den Arm aus und berührte mich an der Hand, und ich spürte einen Schauer der Erregung. »Ich dich auch.«
    Ich setzte mich, und die Kellnerin, strohblond, mit blasser Haut und dem Körper einer Ballerina, nahm meine Bestellung entgegen.
    Im Gegensatz zur Kellnerin glich Aura glitzerndem dunklem Gold. Ihre Haare waren blond und gewellt. Das war ihre natürliche Haarfarbe, ihre Mutter war Dänin, ihr Vater aus Togo. Ihre blassen Augen hatten eine Farbe, die ich nicht benennen konnte.
    Vor weniger als einem Jahr wäre ich beinah krepiert, und sie hatte an meinem Bett gesessen, wann immer meine Familie nicht da war. Twill passte die Besuche ab und rief sie an, wenn die Luft rein war. Ab und zu ließ das Fieber nach, und ich kniff die Augen zusammen und sah sie, wie sie auf meine Genesung wartete.
    Ich blinzelte und fand mich in dem Diner wieder, zusammen mit der Frau, die mich ins Leben zurückgeholt hatte.
    »Du musst deine Miete bezahlen«, mahnte sie.
    »Ich habe gestern einen Vorschuss bekommen.«
    Die Zeit verstrich.
    Unser Frühstück kam. Ich hatte Maisgrütze, Schweinswürstchen mit Salbei und vier Rühreier bestellt, Aura Grapefruit, Special K und entrahmte Milch.
    »Was wolltest du, Leonid?«, fragte sie, nachdem das Schweigen die halbe Mahlzeit über angehalten hatte.
    »Ich möchte dich zurück.«
    »Wie geht’s Gordo?«
    »Er liegt im Sterben. Er stellt sich ganz gut dabei an.«
    »Ich kann nicht«, sagte Aura. »Noch nicht.«
    »Wieso? Ich verlasse Katrina.«
    »Ich weiß. Und vielleicht, wenn du das früher getan hättest … Nein. Ist nicht deine Schuld. Es ist nur, ich, ich habe Angst, dich zu verlieren.«
    »Du wirst nichts verlieren. Ich werde da sein.«
    »Als ich dich da in dem Bett gesehen habe, wusste ich, dass du eines Tage so umkommen wirst«, fuhr sie fort, »blutig und zerschlagen.«
    Was konnte ich darauf erwidern? Ich wusste es ja selbst.
    »Ja, aber wir sterben alle.«
    »Aber nicht so.«
    »Nein«, gab ich zu. »Nicht so.«
    »Ich ziehe aus dem Tesla Building aus, wenn du willst«, bot sie an.
    »Die würden nur jemand anderen anheuern, der mich rausschmeißen soll.«
    »Alles in Ordnung?«, wollte die Tänzerin-Kellnerin wissen. Sie stand da und lächelte hoffnungsvoll.
    »Bestens«, sagte Aura.
    »Ich habe Sie beide in letzter Zeit gar nicht gesehen«, meinte die Kellnerin. »Waren Sie fort?«
    »Unterschiedliche Arbeitszeiten«, meinte Aura.
    Als die Kellnerin gegangen war, legte ich

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