Bis dass der Tod uns scheidet
musste, schließlich bin ich nur eins siebenundsechzig. Elsa berührte mich im Vorbeigehen an der Schulter.
Die Frauen sprachen nicht mit mir, das Ganze hatte sich in der Zwischenzeit schon eingespielt: Ich kam am Nachmittag heim, und Gordo und ich hielten ein Schwätzchen. Die Frauen kümmerten sich um seine körperlichen Bedürfnisse, ich erinnerte ihn daran, wer er war und warum er kämpfte, wo er doch genauso gut hätte aufgeben können.
Ich zog mir einen Stuhl heran, der immer in der Ecke neben dem Fenster stand.
»Wie geht’s, alter Mann?«, fragte ich.
Gordo versuchte zu seufzen, ließ aber nur ein wenig Luft ab. Er war stets schlank gewesen, doch nun war er spindeldürr, und die Haut hing schlaff an den deutlich hervortretenden Knochen.
»Das Gift hat seinen Job erledigt«, sagte er. »Müssen nur noch schauen, dass ich meinen Job erledige.«
Als ich Dr. Ives, den Onkologen, gefragt hatte, ob mein Freund noch eine Chance hätte, hatte der Arzt geantwortet: So gut wie keine . Das war vor sieben Monaten gewesen.
»Sparst dir deine Kräfte für die späteren Runden auf, hm?«, meinte ich.
Gordo bleckte die Zähne, was wohl ein Grinsen sein sollte.
»Wie geht’s dir, Junge?«, fragte er.
Ich lächelte, schüttelte den Kopf, sagte ohne Worte, dass ich weit oberhalb meiner Gewichtsklasse boxte. Eine Tatsache, die ich den meisten Leuten nicht verraten hätte. Das hätte ich wohl auch Gordo nicht gesagt, aber er brauchte es, gebraucht zu werden, und ich brauchte ihn – Punktum!
»Was ist denn?«
Ich erzählte ihm von der Frau, die sich für eine andere ausgab, über den Mann, der ebenfalls seine eigene Identität verschleierte. Ich erzählte ihm von dem verborgenen Anwesen auf dem Dach des Gebäudes neun Blocks entfernt.
»Schwierig«, sagte der sterbende Mann. »Das ist die Sorte Boxer, bei der du aufpassen musst. Er will, dass du mit einem linken Haken rechnest, setzt aber auf eine gerade Rechte. Du glaubst, du hast es kapiert, und – rumms! – aus dem Nichts beugst du dich direkt in einen Uppercut.«
Ein guter Rat von einem Meistertrainer. Ich dachte, ich hätte den Fall schon so gut wie gelöst, dabei verrieten mir die Fakten, die ich kannte, in Wahrheit nur, dass ich nichts wusste.
»Und dann ist da noch dieser Typ«, fügte ich an. »Harris Vartan.«
»Vartan? Was hast du denn mit diesem Arschloch zu schaffen?«
Gordo fluchte so gut wie nie. Er hatte mir immer gesagt, dass auch Frauen und Kinder zu Boxkämpfen gehen würden und es schon schlimm genug sei, zuzuschauen, wie ihre Lieben blutig geklopft würden.
Die brauchen kein Gefluche mehr, um die Blutsuppe noch zu würzen , hatte er gesagt.
»Woher kennst du denn Vartan?«, fragte ich ihn.
»Vor siebenunddreißig, nein, achtunddreißig Jahren, da ist er in mein Studio gekommen und hat gesagt, ihm gehört einer meiner Boxer, er hätte Pläne mit ihm. Ich hab zu ihm gesagt, wenn er Sklavenhalter ist und wenn er Männer als Vieh ansieht, dann soll er besser seinen Besitz nehmen und seinen Hintern aus meinem Laden rausbewegen. Das hab ich dem Boxer auch gesagt, verdammt.«
»Was ist passiert?«, fragte ich.
»Nix. Vartan hat mich angeschaut und halb gegrinst. Er hatte einen Torpedo bei sich. Der Kerl hat einen Schritt auf mich zu gemacht, aber Vartan hat ihn zurückgehalten. Zum Glück für den Gangster. Du weißt, ich war wild.«
»Er hat den Boxer in Ruhe gelassen?«
»Ja. Hat mich ziemlich überrascht. Ich hab mich wegen Vartan umgehört. Man sagt, er weiß, wo die Leichen vergraben sind, weil er sie dort verscharrt hat. Was hast du mit ihm zu schaffen?«
»Er war ein Freund meines Vaters«, antwortete ich.
»Ah. Ich verstehe.«
Gordo respektierte das Andenken meines Vaters. Wann immer von Tolstoy die Rede war, behielt er seine Meinung für sich.
»Und was ist mit dir, alter Mann?«, fragte ich, um ihm den peinlichen Augenblick zu ersparen.
»Heute Morgen habe ich gehört, wie Katrina sich mit einem Kerl gezankt hat«, antwortete Gordo. »Deine Kinder waren schon aus dem Haus, und die beiden waren laut. Ich hab nicht gehört, was sie gesagt hat, nur dass sie ihn rausgeschmissen hat. Keine Ahnung, was der Kerl erwidert hat, aber er klang ziemlich verärgert.«
Ich wunderte mich, machte mir wegen der Streiterei aber keine Sorgen. Katrina konnte gut auf sich selbst aufpassen. Dann wechselte unser Gespräch zu den neuesten Boxkämpfen. Gordo wollte seine Meinung zu einem möglichen Kampf Mayweather gegen Paquaio loswerden, doch
Weitere Kostenlose Bücher