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Bis dass der Tod uns scheidet

Bis dass der Tod uns scheidet

Titel: Bis dass der Tod uns scheidet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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einen Zwanziger hin und stand auf.
    »Wo willst du hin?«, fragte Aura.
    »Ich muss los. Du hast die Miete bis drei.«

12
    Das Tesla Building, Art-déco-Wunder von New York, lag elf Blocks von Winston’s entfernt. Das elegante Foyer war eine Ansammlung von italienischem Marmor und Fresken mit monumental großen, nackten und in Togen gewandeten Männern und Frauen. Ich musste lächeln, als ich am Tresen des Sicherheitsbeamten vorbei zu den Fahrstühlen ging.
    Ich war nicht überrascht, Mardi am Schreibtisch vorzufinden, wo sie auf den Computer starrte. Sie war das übereifrige Mädchen für alle Fälle aus den Filmen von vor meiner eigenen Geburt. Mardi war so konzentriert, dass sie nicht aufstand, als ich hereinkam.
    »Sie hatten recht«, sagte sie, ohne aufzublicken. »Es ist ihre Schwester, Shawna Chambers-Campbell, geschieden.«
    Sie trug ein Siegerlächeln auf den Lippen, als sie mich anschaute – doch das verging ihr schnell.
    »Ms. Ullman?«, fragte sie.
    Mardi arbeitete noch kein Jahr bei mir, war aber schon meine engste Vertraute. Die sechsunddreißig Jahre, die zwischen uns lagen, bedeuteten nichts. Ich war eine New Yorker Kanalratte, sie eine hoffnungslose Inselbegabung, die jahrelang von einem Mann missbraucht worden war, der sich als ihr Vater ausgegeben hatte, um dann in eine Welt hinauszugehen, in der sich niemand für ihren Schmerz interessierte oder ihn auch nur verstand. In gewisser Hinsicht war unsere undenkbare Allianz perfekt.
    »He, ich bin hier der Detektiv«, sagte ich.
    »Aber Sie sehen so traurig aus.« Ihr Blick bohrte sich voller Mitgefühl in mich hinein.
    Ich zog den blauen Besucherstuhl heran und sagte: »Klär mich auf.«
    Sie lächelte mich leise an – gab den Weg frei zu endlosen Weiten voller Gefühle, die ich nur erahnen konnte.
    »Ihr Bruder heißt Theodore, doch alle nennen ihn nur Tally«, fuhr Mardi fort. »Er sitzt Downtown ein. Ihre Mutter …«
    »Weswegen?«, fragte ich. Steno reichte uns.
    »Drogenbesitz zum Zweck des Verkaufs«, las sie, nachdem sie kurz auf der Tastatur herumgeklappert hatte. »Sieben Joints und eine noch nicht identifizierte rote Kapsel. Ihre Mutter heißt Azure. In ihrer Krankengeschichte finden sich psychische Erkrankungen, jetzt lebt sie im Schmidt Home in Battery Park City …«
    Von Mardis Fenster aus konnte man New Jersey sehen. Aus dem einundsiebzigsten Stock sah es aus wie ein Modell der Hölle.
    »Was ist ihr Problem?«, fragte ich.
    »Wie die rote Kapsel«, antwortete Mardi. »Nicht identifiziert. Der Vater heißt Nathan. Er lebt in einem Altersheim ebenfalls Downtown. Er war sechsundvierzig Jahre lang Schweißer in der Handelsmarine. Keine Einträge zu Scheidung oder Trennung.«
    Mardi las nicht weiter vom Bildschirm ab, sondern blickte auf und gestattete mir, in den tiefen Brunnen ihrer Augen zu sehen, so dass die Trauer von mir wich.
    »Shawna ist ein Rätsel«, sagte sie.
    »Weiter.«
    »Mit sechzehn heiratete sie den Private First Class Richard Campbell. Drei Monate später die Scheidung wegen unüberbrückbarer Differenzen. Ich habe Unterlagen zu drei Kindern in den letzten sieben Jahren gefunden, aber es können auch mehr sein.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Ihre Schwester hat ihr vor sechs Monaten eine Empfehlung für eine Tageskrippe geschrieben. Keins der drei Kinder wäre jung genug dafür gewesen, und es ging nicht um eine Arbeitsstelle.«
    »Kapiert.«
    »Shawnas letzte bekannte Anschrift war ein Frauenasyl auf der 18th Street. Ihre letzte Arbeitsstelle war Beatrice Hair Design an der Flatbush Avenue in Brooklyn. Aber das ist vier Jahre her. Beide Schwestern haben die Highschool geschmissen. Tally ebenfalls.«
    Ich beugte mich vor, verschränkte die Finger und stützte die Ellbogen auf Mardis Schreibtisch.
    Ich lauschte dem Geklapper der Fingernägel und bemerkte, wie Aura mir aus dem Bewusstsein glitt wie ein kleines Boot, das unvertäut am Ufer liegt.
    Ein Mann definiert sich durch die Arbeit, die er tut , hatte mein Vater mir eingetrichtert. Arbeitet er für die Firma, ist er die Firma. Arbeitet er für das Volk, ist er das Volk.
    Mardi sagte etwas über eine kleine Schule in Rhode Island, die Chrystal besucht hatte. Sie hatte ihren Abschluss gemacht und war dann aufs College gegangen.
    Und glaub ja nicht, dass du was Besonderes bist , hatte mein Vater immer hinzugefügt. Dass du dich selbst definiert hast. Die Stadt hat dich gemacht. Die Straßen und Straßenbahnen, die Polizei und die Banker. Für die bist du nicht mehr

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