Bis dass der Tod uns scheidet
Architekt des Todes in Südostasien genannt – ein Krieg, den die unter Vierzigjährigen im heutigen Amerika entweder vergessen oder missverstanden hatten.
Mr. Landsdale sah mich an, ich setzte mich hin und grübelte weiter – wanderte durch meine Erinnerungen voller Einzelheiten, die vor uralten Leidenschaften strahlten wie seit langem tote Sterne in einer mondlosen Nacht.
Mein Vater hatte mir Vorträge über Mr. Klaus gehalten. Klaus hatte im Außenministerium gearbeitet. Dort hatte er die Dezimierung von Nationen geplant, die als Feinde der Demokratie eines von Konglomeraten beherrschten Amerika angesehen wurden. Er war es gewesen, der die Bombenteppiche initiiert und Folter legalisiert hatte. Man sagte ihm ein phänomenal gutes Gedächtnis nach, deshalb hatte er nie etwas zu Papier gebracht, so dass weder seine Bosse noch er jemals für ihre Untaten zur Verantwortung gezogen werden konnten.
Sein Attentäter kann sich auf Selbstverteidigung berufen , hatte mein Vater immer gesagt.
Hunderttausende Tote gingen auf das Konto dieses Mannes, und nun fuhr er nach Washington, um unseren neuen liberalen Präsidenten zu beraten.
Ich war bewaffnet und schnell. Mein Vater in seinem namenlosen Grab irgendwo südlich von Mexiko und nördlich der Antarktis hatte auf ein spontanes Attentat gehofft. Aber ich war kein Richter und schon gar kein Henker. Das Rad, von dem Klaus gesprochen hatte, drehte seine Runde, und alles, was ich und er tun konnten, war, uns festzuhalten.
Ich musste mich beschäftigen, also stand ich wieder auf und nahm mir ein paar von William Williams’ Büchern über Politik und Philosophie. Fast jedes Wort war rosa, gelb oder blau hervorgehoben. Viele Sätze waren unterstrichen, und überall fanden sich rätselhafte Notizen.
Das Unbewusste ist nicht bekannt, aber Unwissenheit findet vor dem Richter des Schicksals kein Gehör , hatte er in Lacans Ethik und Psychoanalyse geschrieben. Im König Lear stand: Ja, an dem Gestank, an diesem Geruch erkennt man, was im Herzen der Maurer, Näherinnen und Missetäter fault.
Das Meiste von dem, was er geschrieben hatte, war so eigenwillig, dass der Sinn nicht zu erkennen war. Die Sprache war fiebrig, vielleicht nicht ganz rational. Doch es gab auch banale Informationen. Einkaufslisten, besondere Daten (wie zum Beispiel Corinthias Geburtstag) und finstere Informationen über die Beschattung eines Mannes zwischen zwei Stadtteilen.
Heute hab ich ihn wieder verfolgt , hatte Mr. Williams auf eine leere Seite am Ende von Den Tod geben geschrieben. Er gab seiner Frau einen Abschiedskuss und ging dann zu seiner Geliebten. Sie schlenderten durch den Park, während die Kinder der Menschen, die er vernichtet hatte, vor Angst nicht mehr ein noch aus wussten. Ich hatte eine Pistole in der Tasche, und meine Hände waren schweißnass. Aber der Mann war schon lange tot, wir beide waren es. Wir waren Geister, und keine Tat konnte etwas daran ändern.
»Sie lesen das Kapital , wie ich sehe«, sagte eine Stimme. »Sind Sie Kommunist?«
Ich drehte mich um und entdeckte Rainier Klaus, der neben mir stand. Der Zug war in Bewegung. Er wollte wohl aufs Klo. Ich hatte nicht mal bemerkt, wie wir losgefahren waren. Draußen vor dem Fenster lag ein Sumpf. Ein einsamer Fischreiher stand auf einem Bein und bewachte den Schlamm.
»Na ja, eigentlich lese ich nicht«, antwortete ich und klopfte auf den nicht aufgeschlagenen Wälzer auf meinem Klapptisch.
»Nein? Was denn dann?«
»Ich bin Privatdetektiv, und dies sind die Bücher eines Mannes, der vor ein paar Jahrzehnten verschwunden ist. Ich bin auf der Suche nach ihm, und diese Bücher sind das einzige Testament.«
Das letzte Wort weckte wohl die Aufmerksamkeit des Diplomaten.
»Vielleicht will er nicht gefunden werden«, schlug Klaus vor.
»Seit wann ändert das, was wir wollen, die Taten anderer?«, fragte ich.
Er lächelte, zuckte mit den Schultern und erwiderte: »Dem kann ich nicht widersprechen.«
Ein stämmig wirkender Mann am Ende des Wagens beobachtete mich genau.
»Verraten Sie mir mal was, Mr. Klaus.«
»Was denn?«
»Haben Sie manchmal Schuldgefühle?«
Er sah mir in die Augen und dachte mindestens fünfzehn Sekunden lang über meine Frage nach. Schließlich sagte er: »Jedes Jahr fahre ich nach Nordvietnam aufs Land. Dort suche ich mit einer Gruppe von Ärzten die Städte und Provinzen auf, um jenen Hilfe zu bringen, die sie benötigen. Meine Frau hat mich immer begleitet. Heute kommen meine Söhne mit. Doch
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