Bis dass der Tod uns scheidet
um Ihre Frage zu beantworten: Nein, ich habe keine Schuldgefühle. Das wäre eine Beleidigung meiner Feinde.«
Klaus ging weiter. Ich erinnerte mich an mein Gespräch mit Hush. Killer leben und sterben in ihrer eigenen Welt.
Ich schlug Williams’ Exemplar des Kapitals auf. Darin befand sich ein zusammengefaltetes, vergilbtes Stück Zeitung. Es handelte sich um ein Stück aus dem Immobilienteil einer Zeitung aus Hoboken, auf dem die Anzeige für eine Wohnung eingekreist war.
Ich schrieb mir die Telefonnummer auf eine meiner Alias-Visitenkarten und schob sie sorgsam in die Brusttasche meines blauen Jacketts.
36
Als der Zug in die Penn Station von Baltimore einfuhr, dachte ich über die Tatsache nach, dass ich nur wegen einer vagen Eingebung dort war. Fatima erinnerte sich an den Klang des Namens eines Ortes, an dem ihre Tante ein geheimes Versteck hatte. Das Kind konnte sich täuschen oder den Namen irgendeines Kaffs in Maine oder South Carolina nachplappern.
Ich hatte New York verlassen, weil ich etwas Zeit für mich brauchte, aber nicht wusste, wie ich sie mir einfach so nehmen sollte. Nach Hushs Verwandlung und Auras alles erhellender Einsicht, nach dem Tod dreier junger Frauen und nachdem ich die Kinder mitgenommen hatte, war ich erschöpft und, was noch schlimmer war, ein wenig verunsichert.
Ich blickte auf und sah Klaus, der zum vierten Mal vom Klo kam.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte er mit seiner mächtigen, wenn auch alt gewordenen Stimme.
»Ja, Mr. Klaus?«
»Sie haben mir nicht gesagt, ob Sie Kommunist sind oder nicht.«
»Ich bin nicht zum Parteigänger erzogen worden«, antwortete ich wahrheitsgemäß, »sondern zum Revolutionär.« Der stämmige Mann hinten im Wagen stand auf, obwohl ich mir sicher war, dass er mich nicht gehört hatte. »Irgendwo unterwegs bin ich vom Weg abgekommen … oder habe ihn vielleicht auch gefunden. Jedenfalls hängt die Antwort auf Ihre Frage wohl eher von Ihnen ab, nicht von mir.«
Meine Antwort schien den Massenmörder zu amüsieren.
»Darf ich Sie um Ihre Karte bitten?«, fragte er.
Ich reichte sie ihm, wohl am ehesten, um seine Leibwache zu verwirren. Der unglückliche Beschützer beobachtete sechs große Schritte entfernt, wie ich dem Mann nahe genug kam, um ihm alle möglichen Arten eines permanenten Schadens zufügen zu können.
»Leonid?«, sagte Klaus, nachdem er meine Visitenkarte studiert hatte.
»Das gehörte zu meiner Erziehung dazu«, meinte ich nur.
Der Wartesaal des Bahnhofs von Baltimore war so groß wie ein Zeppelinhangar. Der Acela traf zwölf Minuten zu früh ein, deshalb beschloss ich, in dem riesigen Raum mit den langen Holzbänken, hohen Wänden und milchigen Scheiben, durch die reichlich, wenn auch gemildert, Licht fiel, zu warten.
Ich nahm meinen PDA aus der Tasche und stellte fest, dass Mardi ihre Arbeit für diese Woche erledigt hatte.
Mithilfe von Bugs Templates hatte sie herausgefunden, dass sich Chrystal Chambers vor acht Jahren ein kleines Haus mit gerade mal fünfundachtzig Quadratmetern Wohnfläche in einer Straße namens Freeling Drive gekauft hatte. Das Geschäft war von Starkman Realty abgewickelt worden, die Hypothek hielt Herkimer-People’s Trust, eine kleine Bank in New York, ein Name, der meinen Vater dazu veranlasst hätte, mir einen Vortrag über die inzestuöse und zersetzende Natur des Kapitalismus zu halten.
»Entschuldigen Sie bitte, Sir?«
Sie war jung, wirkte in der braunen Baumwollhose und der babyblauen, kurzärmligen Bluse ärmlich. An manchen Stellen waren ihre Haare geglättet worden, an anderen nicht – so als habe sie mitten während der Behandlung der Friseurin gesagt, sie könne sich das eigentlich nicht leisten. Mahagonibraun, höchstens zwanzig, die Schuhe pink und aus Plastik. Die früher mal roten Nägel waren kurz geschnitten.
»Ja?«, fragte ich.
Sechs Meter entfernt stand ein Schwarzer, um die vierzig, der uns genau beobachtete. Das erinnerte mich an Rainier Klaus und seine unfähige Leibwache.
»Ich brauche etwas Geld, um mir eine, ähm, Fahrkarte zu kaufen«, sagte die Kleine,
»Hat dich der Typ in der schwarzen Hose und dem grauen Hemd dazu angestiftet?«, fragte ich.
»Ähm …«
»Schon in Ordnung, Süße«, beruhigte ich sie. »Ich tu, was du möchtest, sag mir nur, ob der Typ dich an der Leine hat.«
»Ja. Is mein Freund.«
»Drogen?«
»Mh-mh.«
»Beide?«
»Nur er. Manchmal.«
»Wie heißt du?«
»Seema.«
Ein Wachmann beobachtete den Mann, der uns
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