Bis du erwachst
diesem Nachmittag zum Arbeitsamt etwas Schickeres angezogen.
«Kenny?»
Der Mann im Wagen, der zur neusten CD von Jay-Z rhythmisch mit dem Kopf wippte, war tatsächlich Kenny, ein Exfreund, der vor Rik mit ihr Schluss gemacht hatte. Er sah so scharf aus wie eh und je.
«Hi, Millie», sagte er, löste den Sicherheitsgurt und machte Anstalten auszusteigen.
Freudig überrascht legte sie die Hand auf die Brust; sie konnte nicht verhindern, dass sich ein entzücktes Grinsen auf ihrem schönen Gesicht ausbreitete.
Kenny und Millie hatten früher in diesem Jahr zwei selige Monate miteinander verbracht. Ihre Zahnbürste hatte es sogar bis in seinen Badezimmerschrank geschafft. Siehatten vom Zusammenziehen geredet (nun ja, sie hatte ihn gebeten, darüber nachzudenken), aber nicht lange nach diesem Gespräch hatte er sich von ihr getrennt. Es war ziemlich plötzlich und ohne Vorwarnung gekommen. Er hatte ihr seine Gründe nie richtig auseinandergesetzt, nur dass er «Zeit zur Entfaltung» brauche, was auch immer er damit meinte. Aber als sie ihn da in seinem kleinen Micra sitzen sah, stieg eine Welle nostalgischer Zuneigung in ihr auf.
Kenny richtete sich zu seinen vollen eins neunzig auf. Er überragte sie, und das gab ihr ein Gefühl von Geborgenheit. Im Haus erkundigte er sich höflich nach ihren Schwestern (obwohl er ihnen nie begegnet war), und sie war so höflich, ihm nicht zu erzählen, was mit Lena passiert war.
«Ich will gar nicht bleiben, Millie!», sagte er, als sie ihn in ihr Zimmer geleitete. Dort fiel sein Blick sofort auf ein paar Bilder, die auf ihrem Frisiertisch lagen. Eines davon zeigte Rik.
«Es ist nicht so, wie du denkst», sagte sie hastig und ein wenig verzweifelt.
Kenny drehte sich zu ihr um. «Das ist doch egal, Millie. Ich bin nur hier, um ein paar DVDs abzuholen, die ich vergessen habe. Hast du sie noch?»
Ihr rutschte das Herz in die Hose.
Er ist nur wegen seiner DVDs gekommen.
Sie riss sich zusammen. «Ach so, klar. Ich hol sie dir.»
Millie kramte in ihrem Zimmer herum. Kenny starrte an die Wand und pfiff ungeduldig vor sich hin. Sie suchte unter dem Bett und in dem riesigen Wäschesack, der prall gefüllt war mit Schmutzwäsche, und in dem erstaunlicherweise auch der Föhn lag, dann in den Schubladen. Bis ihreinfiel, wie herrlich befreit sie sich gefühlt hatte, als sie in einem Wutanfall sämtliche DVDs in Stücke zertrampelt hatte.
«Ich glaube, ich habe sie meiner Schwester geliehen», sagte sie rasch.
«Welcher?», fragte er halb verärgert, halb irritiert.
«Lena», log sie.
«Können wir in ihr Zimmer gehen und sie holen? Sie waren wirklich teuer. Ich hatte sie ganz vergessen, bis mein Cousin gefragt hat, ob wir sie uns ansehen können.»
«Tut mir leid, das geht nicht», sagte sie.
«Warum nicht?» Er wirkte jetzt richtig ärgerlich.
«Weil …»
«Weil? Nun sag schon.»
«Weil meine Schwester im Krankenhaus liegt, deswegen.»
Ungläubig zog er die Augenbrauen zusammen. «Geht es ihr sehr schlecht?»
«Ziemlich schlecht. Ich finde, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um … verstehst du?»
Er kratzte sich den Kopf. «Nein, klar. Tut mir leid, wirklich. Alles in Ordnung mit dir?»
Die Besorgnis, die sich auf seinen attraktiven Zügen malte, überraschte sie. Sie freute sich darüber. Vielleicht machte er sich ja doch etwas aus ihr.
«An manchen Tagen ist es besser als an anderen.» Streng genommen, stimmte das sogar. Jetzt gerade freute sie sich sehr über seine plötzliche Aufmerksamkeit. Vielleicht würde er sie ja als Nächstes umarmen.
Er trat näher zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
«Hoffentlich geht es deiner Schwester bald besser.»
«Danke. Möchtest du nicht noch bleiben … vielleicht auf einen Drink?»
«Lieber nicht», versetzte er abrupt, überlegte es sich dann aber doch anders. «Also gut. Aber nur einen.»
Im Bad schlüpfte Millie rasch in ihre Lieblingsröhrenjeans, und dann plauderten sie über alte Zeiten, ihre Lieblingssendungen im Fernsehen, neue Musik und warum sie sich damals getrennt hatten. Der eine Drink schien Kennys Zunge so weit gelöst zu haben, dass er ehrlich wurde. Sehr ehrlich.
«Du hast einfach zu stark geklammert», sagte er.
«Wie meinst du das?»
«Du wolltest schon nach ein paar Wochen bei mir einziehen, und du warst … schau, das bringt doch alles nichts», sagte er und erhob sich. «Ich sollte lieber gehen. Danke. Du schickst mir das Zeug dann am besten mit der Post, sobald du
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