Bis du erwachst
noch schwerer gemacht haben?»
Kitty betrachtete ihn so forschend, dass er das Gefühl hatte, seine Antwort müsse besonders tiefschürfend und gedankenvoll ausfallen.
«Ich bin mir nicht sicher …»
«Vergessen Sie es. Ich will Sie ja nicht langweilen … Sie sind ein guter Freund von Lena, und ich möchte, dass das so bleibt!»
Michael nickte schweigend. Alles, was er sich wünschte, war, mit Lena allein zu sein. Er gehörte natürlich nicht zur Familie, und sie hatten ihn so warm und freundlich aufgenommen, dass er sich wirklich nicht beschweren konnte. Außer Justin hatte er inzwischen alle kennengelernt, und seit er sich das Amerie-Album gekauft hatte, fühlte er sich Lena so nahe. Er hatte die Songs sogar auf sein Handy runtergeladen, um sie auf dem Weg zur Arbeit zu hören.
«Michael, wie wär’s, wenn Sie zu uns zum Essen kämen?»
Michael hätte sich beinahe an seinem Wasser verschluckt. Kitty lud ihn in Lenas Zuhause ein! Fast bekam er Panik. Ging das alles nicht ein bisschen zu schnell?
«Ein Nein lasse ich nicht gelten. Ich koche uns allen ein Festmahl. Cara isst zur Zeit kaum etwas, und das ist meine Art, für sie zu sorgen. Es wäre mir wirklich eine Hilfe, wenn Sie kommen …»
«Sehr gern», sagte er. Seine Befürchtungen waren plötzlich wie weggeblasen.
Auf dem Rückweg vom Krankenhaus freute Michael sich auf das Abendessen und fragte sich, ob das schon einen Loser aus ihm machte. Wenn ja, dann fühlte es sich nicht so an – nicht so wie früher. Zu Hause angekommen, schlüpfte er sofort in seine Jogginghose. Bloß nicht den Abend wie frühervor dem Fernseher verbringen! Jetzt kam ihm das wie die reinste Zeitverschwendung vor. Stattdessen ging er wieder laufen. Wenn er so weitermachte, brauchte er dringend ein Paar neue Laufschuhe. Das Paar, das er jetzt hatte, fiel fast auseinander. Er verspürte den Drang, shoppen zu gehen und sich die braunen Puma-Sneaker zu kaufen, auf die er schon länger ein Auge geworfen hatte.
Aber gleich wusste er wieder, warum er sonst nie nach Covent Garden und auch nur einmal im Jahr Kleider kaufen ging. Sich durch Massen klamottensüchtiger Leute zu kämpfen war einfach nicht sein Ding. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass ihn die Aussicht auf eine neue Garderobe dennoch mit Vorfreude erfüllte. So munter war er schon lang nicht mehr gewesen. Jetzt stand er in einer Filiale von Ted Baker und hielt eine weiche, karamellbraune Lederjacke hoch, die ihm durch das Fenster ins Auge gefallen war.
«Möchten Sie sie anprobieren?», fragte die junge Verkäuferin.
«Nein, danke», erwiderte er lächelnd und legte die Jacke vorsichtig auf die Auslage zurück.
«Na los, es ist ein schönes Stück.»
Mit einem schönen Preis, meine Liebe, dachte er. «Sie ist ein bisschen … ähm …»
Michael biss sich auf die Unterlippe.
«Ich glaube, an Ihnen würde sie einfach großartig aussehen», fügte sie ermutigend hinzu.
Zum Entzücken der Verkäuferin schlüpfte er dann doch in die Jacke, und er fühlte sich darin großartig.
«Sieht toll aus», sagte sie. Er kam sich vor wie in einer dieser Vorher-Nachher-Reportagen in einer Frauenzeitschrift.
«Sie fühlen sich sicher toll darin, oder?», jauchzte eine weitere Stimme hinter ihm. Anscheinend die Filialleiterin.
Ein Blick auf das schreckliche Preisschild genügte, und der letzte Rest Vernunft schrie ihm zu, die Jacke nicht zu kaufen.
Aber er hatte sein Herz schon an die Jacke gehängt. Weil sie für den
neuen
Michael stand.
Und so bezahlte er die Jacke und schlich aus dem Laden, fest entschlossen, nie wieder in Covent Garden nach Klamotten zu schauen. Insgeheim aber konnte er sich gar nicht mehr einkriegen, dass er so ein teures, luxuriöses Kleidungsstück für sich gekauft hatte, ohne daran zu denken, wie sich diese Ausgabe auf seine Zukunftspläne auswirken würde.
Zu Hause hängte er die Jacke in den Schrank, weil er sie für «besondere Gelegenheiten» aufsparen wollte. Gleich darauf ärgerte er sich über sich selbst. Was genau sollten diese «besonderen Gelegenheiten» denn sein? Er hörte die Stimme seiner Mutter, die ihr bestes Geschirr nur zu «besonderen Gelegenheiten» aufdecken wollte. Aber wann genau waren diese besonderen Gelegenheiten? Das gute Geschirr wurde nie benutzt, niemand konnte sich daran freuen, und dann schoss Charlotte einen Fußball durchs Fenster und auf die Geschirrvitrine, und es blieb nicht viel davon übrig. Charlotte bekam Hausarrest, seine Mutter regte
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