Bis du erwachst
Curtis. Du solltest deinen Wert kennen.›» Millie lächelte und fuhr dann fort: «Lena hat immer wieder gesagt, dass ich viel mehr wert sei, als ich selber glaube, und dass ein Mann das eines Tages auch erkennen würde. Irgendwer Besonderes. Jemand, der meiner würdig wäre.» Sie grinste. «Ich hab das immer für kompletten Blödsinn gehalten.»
Je mehr er über Lena herausfand – wie sie dachte, was sie gesagt hatte –, desto mehr wünschte er sich, dass er sie kennengelernt hätte, richtig kennengelernt. Sie war eine erstaunliche Schwester. «Lena hat recht. Halt Ausschau nach ihm, Millie, etwas Schlechteres hast du nicht verdient. Okay, mir wird das jetzt ein wenig zu mädchenlastig, können wir jetzt über Fußball reden?»
Wieder lachten sie, und Michael fiel auf, dass er in letzter Zeit überhaupt ziemlich viel gelacht hatte. Und das war gut. Es fühlte sich so richtig an.
«Was ist dein Traum, deine Leidenschaft, Millie?», fragte er plötzlich aus heiterem Himmel.
«Nicht hier zu arbeiten», flüsterte sie. «Ich bin Cara sehr dankbar, denn ich verdiene hier eine Menge Kohle, und Cara sieht wenigstens, dass ich keine totale Platzverschwendung bin. Aber trotzdem. Ich hätte so gern eine eigene Leidenschaft. … aber ich glaube, ich habe einfach keine. Leidenschaft, meine ich. Cara hat immer ihren eigenen Laden aufmachen wollen, und Lena will anderen Menschen helfen,aber ich? Ich weiß es einfach nicht, und das ist vielleicht Teil meines Problems. Ich habe nie gewusst, was ich mit meinem Leben anfangen will.»
«Das ist auch okay. Deswegen braucht man sich nicht zu schämen. Wir haben alle verschiedene Lebensabschnitte, in denen wir etwas vollbringen. Vielleicht ist dein Moment einfach noch nicht gekommen.»
«Ich weiß zumindest, dass es mir keinen Spaß macht, von Arbeitslosengeld zu leben. Es ist nur so, dass die Jobs, auf die ich mich dann – wenn überhaupt – bewerbe, alle ziemlich grauenvoll sind.»
«Oh, da fällt mir was ein. In meiner Firma wird eine Verwaltungssekretärin gesucht. Das ist keine wahnsinnig aufregende Aufgabe, und die Bezahlung ist auch beschissen. Aber wenn du den Job kriegst, kannst du dort Geld verdienen, während du dir überlegst, was du wirklich willst. Ich kann dir natürlich nicht garantieren, dass es klappt, aber ich weiß, dass sie händeringend jemanden suchen, und du hast ja gesagt, dass du Ende der Woche hier aufhörst», sagte Michael ermutigend.
«Na herzlichen Dank», sagte sie scherzend.
«He, ich würde es an deiner Stelle versuchen!»
«Danke, Michael.»
«Kein Problem, meine Freundin.»
«Darf ich dich was fragen, mein Freund?»
«Nur zu.»
«Seit wann bist du so ein Lebensguru?»
«Hmmmm … vermutlich seit ich Lena begegnet bin.»
23
Auf dem Weg zum A&R sah Cara ein rotes Schild im Fenster eines ihrer Lieblingsschuhläden in ihrem Viertel hängen: «Leider müssen wir mitteilen, dass wir uns aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage gezwungen sehen, unser Geschäft zu schließen. Alles muss abverkauft werden. Schuhe um 75 % reduziert. Wir bedanken uns bei unseren treuen Kundinnen und Kunden. Kiki P.» Cara empfand diesmal, anders als sonst, bei der Aussicht auf einen Räumungsverkauf mit fünfundsiebzig Prozent Preisnachlass keine Freude. Trotzdem betrat sie den Laden, wie auf Autopilot, und sah sich sofort Bergen von Schuhschachteln gegenüber. Es gab Stilettos aus grünem Satin mit Spitzenbezug, orangefarbene Peeptoes mit silbernen Glitzerperlenschnüren als Fesselriemchen. Alles roch neu und teuer. Ihr Traumladen. Ihr Traumszenario. Sie strich über einen Schuh mit Schottenkaro und niedrigem Pfennigabsatz und sah bewundernd auf ein Paar Plateausandalen mit Holzsohle – aber «es», das Gefühl freudiger Erregung, das sie immer dann überkam, wenn sie sich ein Paar funkelnagelneuer Schuhe kaufte, wollte sich nicht einstellen.
All das spielte jetzt einfach keine Rolle mehr.
«Es» waren einfach nur hübsche Schuhe.
Sie verließ den Laden mit leeren Händen und ging ins A&R, wo ihr sofort der vertraute Geruch nach Aftershave, Parfüm, Cocktails und Snacks entgegenschlug. Die Nicht-Stammgäste nahmen sie schlicht als eine weitere Kneipengängerin wahr. Früher hatte sie das gehasst und war immer froh gewesen, wenn Eliza zu ihr kam und sie «Chefin» nannte. Ihr gefiel die Vorstellung, dass sie als die Inhaberin erkannt wurde, dass sie, diese winzige Frau mit den Zehn-Zentimeter-Absätzen, die CHEFIN war.
Aber jetzt
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