Bis du erwachst
Gleiche.
«Der Tag, an dem wir miteinander geplaudert haben, war nicht das erste Mal, dass ich dich gesehen habe, weißt du. Du bist mir schon vorher aufgefallen, im Bus … oh, tut mir leid, das klingt jetzt irgendwie komisch.»
Abwesend strich er sich über das Kinn. Also nochmal von vorn. «Nach unserem Plausch habe ich mich so darauf gefreut, dich im Bus wiederzusehen. Aber als ich am nächsten Tag einstieg, warst du nicht da! Was hatte das zu bedeuten? Deine Schwester hat gesagt, du hättest deinen Weg zur Arbeit geändert. Warum? Und dann hat mich deine Schwester angerufen. Und dann bin ich ihr in der Bar begegnet! Das ist doch unglaublich, oder? Ohne dass ich wusste, wer sie ist. Vielleicht kannst
du
mir ja eines Tages erklären, warum du nicht mehr mit unserem Bus gefahren bist.
Bestimmt haben wir uns eine ganze Menge zu erzählen, wenn du aufwachst. Ich habe eine Menge Fragen, zum Beispiel, warum du mit Justin zusammen bist, was deine Lieblingsfarbe ist, warum du es so eilig hattest, dass du die Treppe runtergefallen bist. Erst mal gehe ich nirgends hin. Und wenn du aufwachst und mir sagst, ich soll mich verkrümeln, dann tue ich das. Es würde mir nichts ausmachen. Denn dann wüsste ich zumindest, dass du und deine herrlichen grünen Augen wieder in Sicherheit sind. Mehr will ich ja gar nicht.»
22
Michael roch jetzt jeden Tag nach dem teuren Aftershave, das Charlotte ihm vor drei Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte. Er blühte förmlich auf und genoss, was das Leben zu bieten hatte. Er war sogar versucht, einen Urlaub zu buchen, konnte sich aber nicht entscheiden, wohin er eigentlich reisen wollte. Nach Afrika, Asien oder Amerika, vielleicht nach Rio, so wie Kitty, natürlich nicht, um sich dort ein Facelifting verpassen zu lassen. Die Welt lag ihm zu Füßen, und er wollte so viel von ihr sehen, wie er nur konnte, denn man wusste ja nie, was hinter der nächsten Ecke auf ihn wartete. Im Augenblick war es das Dulwich Leisure Centre.
Michael war seit Ewigkeiten nicht mehr im Fitnessstudio gewesen, und als er sich jetzt dort umsah, wusste er wieder, warum nicht. Glänzende Körper hingen in großen Maschinen, Plasmabildschirme zeigten komplizierte Dinge, die man mit einem Gymnastikball anstellen konnte, und bei all dem dröhnte laute House-Musik. Er setzte sich auf ein Fahrrad-Ergometer und dachte darüber nach, welche Richtung sein Leben in den letzten paar Wochen genommen hatte. All die Veränderungen. Selbst seinen Kollegen fiel es allmählich auf. Also gut,
er
fiel ihnen zum ersten Mal so richtig auf.Man konnte es ihnen gar nicht zum Vorwurf machen. Früher hatte er sich meist in sein Schneckenhaus zurückgezogen. Jetzt war es, als würde er der Welt (also schön, seinen Arbeitskollegen) zum ersten Mal mitteilen, dass er am Leben teilnahm und zu allen Schandtaten bereit war.
Und sie hörten ihm sogar zu!
Michael stieg nach der Hälfte der eingestellten Zeit vom Ergometer ab, richtete sich auf und bemerkte, dass ihm die Trainingshose am Leib klebte. Während er an glänzenden Muskelmassen vorbeiging, die an den Geräten hingen, empfand er einen Anflug von Unzulänglichkeit. Normalerweise hätte ihn dieses Gefühl den ganzen Tag über begleitet, doch diesmal verflüchtigte es sich ebenso schnell, wie es gekommen war. Michael begann mit ein paar Dehnübungen, bei denen er sich ein wenig idiotisch vorkam. Und dann merkte er, dass er beobachtet wurde.
«Hallo!»
Millie.
«Ich wusste gar nicht, dass du ins Fitnessstudio gehst», sagte er. Er war sich nicht sicher, wie er sie begrüßen sollte. Mit einem Kuss auf die Wange? Oder war das zu persönlich? Er fühlte sich in ihrer Nähe wohl, aber er wollte auch nicht zu weit gehen. Millie sah einfach so verdammt gut aus. Wenn er ehrlich war, fand er sogar Cara attraktiv, sogar, wenn sie wütend war, aber es war Lena, die ihn gefangen nahm. Von ihr hatte er letzte Nacht geträumt.
«Normalerweise gehe ich nur schwimmen, aber als du zu Cara sagtest, du dächtest daran, Mitglied in einem Fitnessstudio zu werden, habe ich mich genötigt gefühlt, dasselbe zu tun», erklärte Millie mit einem leichten Lächeln.
«Im Gegensatz zu mir hast du es aber nicht nötig», sagteer und wandte rasch den Blick ab von Millies in Lycra gepresstem Körper. Irgendwo in ihm steckte eben auch ein Mann. Zum Glück hatte er aber trotzdem ein Hirn, und er hatte sogar Zugriff darauf.
«Wenn du irgendwas nicht verstehst, lass es mich wissen», bot er ritterlich an – als
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