Bis du stirbst: Thriller (German Edition)
ist zu Ende, und Murphy trommelt mit den Fingern auf seinen Schreibtisch. Das könnte eine Falle sein. Macbeth könnte bereits in Polizeigewahrsam sein. Nein, Bones hätte ihn angerufen, wenn dem so wäre. Die Sache ist noch zu retten.
Murphy zündet sich eine Zigarre an und hebt das Gesicht, um den Rauch an die Decke zu blasen. Seine Finger umschließen das Whiskyglas. Seine Exit-Strategie ist beinahe fertig. Sie bedarf nur noch eines Puzzleteils, um Ray Garza dranzukriegen. Der Trick ist, keine Panik aufkommen zu lassen. Entweder es haut hin, oder er ist am Ende ein toter Mann.
Murphy nimmt das Telefon zur Hand und ruft Ray junior an.
»Mein Junge, mein Junge«, sagt er und hört sich dabei an wie ein jüdischer Großvater. »Es ist schon so lange her … nicht nachtragend … habe eine neue Ladung Mädchen hereinbekommen. Da ist eine Bestimmte, von der ich möchte, dass du sie ausprobierst. Sie ist so süß wie ein Pfirsich. Komm doch mal rüber.«
54
Die Eingangstür geht auf, bevor Ruiz klopfen kann. Frank Dibbs muss ihn beobachtet haben, als er das Tor geöffnet und den Weg hinaufgegangen ist.
»Es wird auch langsam Zeit«, sagt er und sieht verärgert aus.
»Zeit wofür?«
»Ich habe Dutzende von Nachrichten hinterlassen … und Briefe geschrieben.«
Mr Dibbs hat die Körperform eines Seeelefanten und trägt einen karierten Pullover, der mit viel Liebe und wenig Geschmack gestrickt wurde.
»Haben Sie Ihr Lärmmessgerät mitgebracht?«
»Sie scheinen mich mit jemand anderem zu verwechseln.«
»Sie sind von der Gemeinde, nicht? Ich habe zu Margaret gesagt: ›Das ist bestimmt der Lärmschutzbeamte von der Gemeinde.‹ Richtig, Margaret?«
Margaret muss die Frau sein, die hinter ihm im Flur steht, in einem Morgenmantel und einer Schutzbrille.
Ein brüllendes Lachen tönt aus dem Anglesea Arms gegenüber. Drei junge Kerle stolpern heraus, schreien den Kumpels, die sie hinter sich lassen, etwas zu.
Mr Dibbs kann seinen Abscheu nicht verbergen. »Hören Sie das? Jede Nacht müssen wir Schlägereien ertragen, Kotze, Besoffene, zerbrochene Flaschen. Letzte Woche gab’s eine Schießerei.«
»Das ist es, worüber ich mit Ihnen sprechen will«, sagt Ruiz, glücklich, dass er das Thema wechseln kann.
Mr Dibbs scheint nicht enttäuscht zu sein. Die Schießerei ist sein zweitliebstes Thema. Er beschreibt sie detailgetreu, echauffiert sich, zeigt, wo die Beteiligten gestanden haben.
Mr Dibbs war im oberen Stockwerk, als die Schlägerei ausbrach. Er blickte aus dem Schlafzimmerfenster und sah, wie zwei Polizisten mit dem Fahrer eines Porsche diskutierten, der auf dem Gehweg vor dem Anglesea Arms parkte.
»Die Polizei hatte den Kofferraum geöffnet, und einer von ihnen hat den Ersatzreifen herausgehoben. Da ist dieser junge Kerl durchgedreht, hat sie angeschrien und behauptet, sie hätten ihm eine Falle gestellt. Einer der Polizisten hat sein Funkgerät benutzt, und das Nächste, was ich gesehen habe, war die Waffe.«
»Wer hatte die Waffe?«
»Der junge Kerl. Er hat damit rumgewedelt und herumgeschrien. Ich musste mich ducken.«
»Warum mussten Sie sich ducken?«
»Wegen der Kugel.«
Mr Dibbs hat es geschafft, diese Kleinigkeit in seiner Erzählung auszulassen. Ruiz fragt ihn noch einmal danach.
»Sie haben das Mündungsfeuer gesehen.«
Er nickt. »Die Kugel hat das Haus getroffen. Deshalb habe ich mich geduckt.«
»Das zweite Geräusch muss nah gewesen sein.«
Er nickt. »Direkt unter mir.«
Ruiz geht den Weg zurück, den er gekommen ist, und stellt sich vor den Eingang zum Haus der Dibbs’. Er untersucht die lilafarbene Backsteinfassade, mustert die regelmäßigen horizontalen Mörtellinien unter der Farbe.
»Und Sie sind sicher, dass er da drüben stand?«
»Absolut.«
Ruiz geht hin und her auf der Wingate Road, sucht auf dem Asphalt und im Rinnstein. Ray junior hatte eine automatische Beretta 93R, die auf Einzelschuss anstelle von Schnellfeuer eingestellt war. Die Patronenhülse muss aus dem Verschluss gefallen sein – aber wohin?
Platt auf dem Bauch liegend sucht Ruiz unter den geparkten Autos. Der nächste Abfluss ist sieben Meter entfernt und mit einem quadratischen Eisenrost bedeckt. Er kriecht unter das Chassis eines Autos und guckt zwischen die Streben.
»Haben Sie eine Taschenlampe, Mr Dibbs?«
»Natürlich, wir sind auf alles vorbereitet«. Er rührt sich nicht.
»Vielleicht könnte ich sie mal ausleihen.«
»Oh, natürlich, ja.«
Immer noch auf dem Bauch liegend sieht
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