Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
wie er am Kopfende saß, ein Glas Schnaps in der einen Hand, eine kleine Zigarre in der andern, war sowohl von seinem Auftreten als auch vom Verhalten der beiden anderen ihm gegenüber deutlich, dass es nur Ivan Tait sein konnte. Er trug teure Freizeitkleidung – eine Kaschmirjacke über einemTattersall-Hemd mit offenem Kragen –, hatte einen vollen weißblonden Haarschopf, natürlich gebräunte Haut, perfekte weiße Zähne und das gute Aussehen eines vermögenden reiferen Herrn. Er musste Anfang oder Mitte sechzig sein, wirkte dabei aber alles andere als alt. Er war einfach das, was er war: reich, mächtig, stur, rücksichtslos.
Ich hörte ihn reden, und als er den Brutalen fragte: »Wo warst du?«, und dieser antwortete: »Auf dem Kutter«, erkannte ich dessen Stimme. Der Brutale vom Kutter war Mott – Mott, der mit Tait und Stevie im Wohnwagen aufgetaucht war.
»Hast du gesehen, was passiert ist?«, fragte ihn Tait.
»Ja, es war so, wie Lloyd gesagt hat. Er hat nur versucht, ihm die Kamera abzunehmen, da ist der Typ ausgeflippt und Lloyd hat ihm eine gedonnert. Und dann hat er das Mädchen und die Mutter weglaufen sehen und ist hinterher.«
»Ich hab nur versucht, sie aufzuhalten«, fügte Lloyd hinzu. »Ich hätte sie doch nie – «
»Halt die Klappe«, sagte Tait, den Blick immer noch auf Mott gerichtet. »Und du hast auch gesehen, was Garrow gemacht hat?«
Mott nickte. »Der Typ mit der Kamera war immer noch am Boden. Garrow ist zu ihm hin, hat sich runtergebeugt und was gesagt. Dann hat er einfach ein großes Stück Treibholz gepackt und damit auf den elenden Kerl eingedroschen.« Mott trank einen Schluck aus seiner Bierflasche und schüttelte den Kopf. »Scheiße noch mal, ich konnt es kaum glauben.«
»Hat er hinterher noch was dazu gesagt?«, fragte Tait und schaute von Mott zu Lloyd. »Hat er erzählt, wieso er das gemacht hat?«
»Nicht wirklich«, antwortete Lloyd.
»Hast du ihn nicht gefragt , verdammte Scheiße?«
Lloyd zuckte mit den Schultern. »Er hat bloß gesagt, ihm wär danach gewesen.«
»Das war alles? Ihm wär danach gewesen ?«
»Ja.«
Tait seufzte. »Okay … und du, du erwischst also das Mädchen und die Mutter und zerrst sie zurück zu Garrow …«
»Wenn ich gewusst hätte, was er mit dem Typen gemacht hat, hätte ich sie natürlich ferngehalten.«
»Verstehe, aber das hast du nicht.«
»Äh, nein.«
»Und als sie sahen, was er getan hatte, sind sie durchgedreht. Richtig?«
»Ja, die waren total hysterisch, verstehst du – die haben rumgeschrien, geheult und alles. Ich meine, der Typ sah echt scheiße aus, Kopf eingeschlagen, überall Blut und so … und Garrow hat einfach nur dagestanden, das blutige Stück Holz in der Hand, und gegrinst … Ich meine, die Frau ist echt auf ihn los .« Lloyd zuckte die Schultern. »Ich konnte die gar nicht mehr festhalten. Die war wie ein wild gewordenes Tier.«
»Und Garrow hat sie auch erledigt.«
Lloyd nickte. »Wie ich schon sagte, die ist auf ihn los, hat geschrien und gespuckt wie so ’ne wahnsinnige Alte und er stand bloß da, cool wie nur was, und im letzten Moment, kurz bevor sie bei ihm war, hat er ihr das Stück Holz gegen den Kopf geknallt. Die war tot, bevor sie am Boden aufkam. Garrow hat trotzdem immer wieder auf sie eingeschlagen, einfach nur, um sicherzugehen.«
Tait beugte sich über den Tisch und drückte seine Zigarre in einem Alu-Aschenbecher aus. »Wieso hast du ihn nicht aufgehalten, verdammt?«, sagte er zu Lloyd.
»Ging ja nicht. Ich meine, was hätt ich denn machen sollen? Ich hatte doch alle Hände voll zu tun, das Mädchen festzuhalten … und ich wusste ja nicht, dass Garrow die Frau auch umnieten würde. Aber selbst wenn, hätte ich ihn unmöglich aufhalten können.«
»Aber du wusstest, was er mit dem Mädchen machen würde, oder?«
»Da hab ich ja versucht, auf ihn einzureden. Ich hab ihm gesagt, wie bescheuert das ist, dass es keinen Grund dafür gibt – «
»Aber es gab einen, oder?«, fragte Tait kalt. »Das Mädchen war ja gerade Zeuge geworden, wie er ihre Eltern umbrachte. Er musste sie doch also loswerden, oder?«
Lloyd schaute verwirrt, er begriff nicht, wieso Tait Garrows Aktionen plötzlich guthieß. »Das hat er aber nicht gesagt«, murmelte Lloyd. »Ich meine, Garrow … er hat nichts gesagt von wegen, dass sie ’ne Zeugin wär.«
»Wirklich?«
»Er hat mir gesagt, dass er ihr nichts tun würde. Er hat’s versprochen. Er hat bloß gesagt, sie hätte einen Schock und
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